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An den Springquellen

An den Springquellen

Titel: An den Springquellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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aus wirkte der Schlund wie das aufgerissene zahnbewehrte Maul eines unbekannten Ungeheuers. Gischt stäubte auf, große Wellen brachen sich an den Steinen im Flußbett. Mehr Felsen und überhängige Mauern aus Gestein verdrängten entlang des unterirdischen Flußlaufes die waldbedeckten Hügel.
    Ohne eine einzige Rast bewegte sich der Zug der Nomaden auf einem unkenntlichen Pfad durch die Hügel und Berge Horiens, entlang der Grenze zu Weddon, die der Fluß bildete. Die Frauen füllten an Quellen die Wassersäcke und die großen Tonkrüge auf. Das erlegte Wild wurde an den Flanken der Urs festgezurrt, wo die Läufe und Hälse der Beutetiere traurig schaukelten und gegen das schmutzige Fell der Riesentiere schlugen.
    Arruf verließ seinen Platz und legte sich zwischen zwei Packen aus Zeltleinwand und Leder. Als er zum erstenmal nach dem überfallartig Eintreten der Dunkelheit wieder ein Bild durch die Augen seines Pfänders sah, wußte er, warum er und Uinaho ununterbrochen nach einer unsichtbaren Bedrohung Ausschau gehalten hatten.
    Hier war die Gefahr.
    Sie kam nicht von außerhalb. Sie war in ihm selbst.
    Arruf-Luxon sah ein Bild voller Düsternis, ohne starke Farben. Es war, als blicke er über den Bug eines riesigen Schiffes. Aber dieses Schiff fuhr nicht durch Wasser, sondern schob sich über Land. Merkwürdige Pilze tauchten voraus auf, duckten sich unter die Kronen fahlblättriger Bäume und zerstaubten unter mächtigen Tritten, die den Boden erschütterten. Ein Yarl! Arrufs Pfänder befand sich auf einem Yarl, der durch die Düsterzone rannte. In weiter Ferne, in der Laufrichtung des. Giganten, zeichnete sich hinter runden Felsen und schwarzen Wasserläufen ein heller Streifen am Horizont ab. Schräg durch das Blickfeld raste eine grell leuchtende Feuerkugel, die einen feuerroten Schweif hinter sich herzog. Ein Himmelsstein. Der Pfänder drehte plötzlich den Kopf. Im ungewissen Zwielicht der Düsterzone sah Arruf, daß die Aufbauten des Yarls aus Goldenem Staub bestanden, und daß eine gewisse Großzügigkeit und Pracht der Gestaltung von ihnen ausstrahlte. Dann riß der Kontakt ab.
*
    Necron wußte in dem Augenblick, als er die fremde Beeinflussung spürte, daß der andere durch seine Augen sah. Er mußte erfahren, wer dieser andere Mann war! Er zwinkerte überrascht und sagte sich, daß er dem Fremden lange genug gestattet hatte, Einzelheiten des Palastyaris und der Umgebung zu erkennen. Jetzt versuchte er es! Er zwang seine Gedanken, sich bewußt entlang eines unsichtbaren Pfades zu bewegen, der sich verzweigte und in den Muskeln endete, von denen die fremden Augen bewegt wurden.
    Ein Bild tauchte auf.
    Es war eine helle, von Sonnenstrahlen durchflutete Welt blendender Helligkeit. Necron erschrak. Er wußte, daß außerhalb der Düsterzone die Sonne schien, aber die Helligkeit in den fremden Augen blendete ihn. Er erkannte trotzdem, daß sein Gegner auf einem Fahrzeug saß, das von einem riesenhaften Rind gezogen wurde. Er sah Frauen und Männer in Burnussen, die ihre Körper verbargen. Er wußte, daß der andere wußte, daß er aus dessen Augen blickte. Kurz tauchte das Bild eines grimmig dreinschauenden Mannes auf, dessen Schädel völlig haarlos war.
    Aber der andere wollte nichts wirklich zeigen, nichts verraten!
    Dunkelheit.
*
    Eine Stunde später fing ein neuer Abschnitt des Augenduells an.
    Diesmal starrte Arruf auf ein Bild, das sich ihm unauslöschlich einprägte. Krieger in Schlackenhelmen, aus denen im Schein lodernder Fackeln nur die Augen und die Zähne funkelten, bewegten sich entlang von Mauern, die gezackten Festungswällen glichen. Zwischen den Männern tauchte eine Gestalt auf, die Arruf seltsam bekannt vorkam. Sie näherte sich dem Pfänder.
    Aus einem Rückenköcher ragten rote Federn von Pfeilbeschäftungen. Ein schmaler Schädel mit kurzgeschorenem schwarzen Haar. Ein breites rotes Stirnband.
    Arruf stöhnte auf.
    »Hrobon!«
    Die völlige Lautlosigkeit aller Vorgänge, aller Bilder, erschreckte Arruf tief. Er hielt sich an den Schnüren fest, von denen die Ballen auf dem Wagen zusammengehalten wurden. Sein Stöhnen ließ Uinaho aus einem flachen Schlaf auffahren. Aber Arruf gab keine Antwort.
    Das Bild löste sich auf.
*
    Der Alleshändler blickte aus fremden Augen in züngelnde Flammen. Er sah Knie, Schienbeine und Stiefel seines Widersachers. Eine Hand streckte sich aus, und in den Sand zwischen den Fußspitzen schrieb ein Zeigefinger Buchstaben und Worte.
    Sage – mir – wie

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