An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
für ihre Taten strafen!»
Janna und Verónica atmeten gemeinsam auf, als sich die Tür hinter ihr schloss.
«Bitte erzählen Sie weiter», bat das Mädchen. Sie kuschelte sich in die Kissen und blickte erwartungsvoll zu Janna hoch. «Hat er Sie wirklich ins Wasser geworfen?»
«Aber ja. Mehrmals.» Janna schlüpfte wieder unter das Netz und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. «Ich hatte dann immer furchtbare Angst, dass Schlangen, Piranhas oder Krokodile in der Nähe sein könnten. Oder diese Würmer, die einem in die Körperöffnungen kriechen.»
Verónica zog die Decke bis zum Kinn und quiekte.
«Jedenfalls zog er mich einmal sehr schnell wieder heraus, und er machte auch einen etwas erschrockenen Eindruck. Zumindest war sein Gesicht einen Hauch weniger verschlossen als sonst. Ich sah dann eine kleine Herde Capybaras im Wasser und einen sicherlich sechs Fuß langen Fisch mitten unter ihnen. Er zappelte hin und her, und das Wasser schien zu kochen. Die Wasserschweine versuchten das Ufer zu erreichen, aber drei trieben tot auf den Wellen.»
«Ein elektrischer Aal», konstatierte Verónica. «Ich habe einmal einen in Caracas gesehen, in einem großen Becken auf dem Jahrmarkt. Erst wurden Hühner ins Wasser geworfen und danach die Leute aufgefordert, die Hände hineinzustecken. Man hätte einen Piaster dafür bekommen. Es wagte aber niemand.»
«Ähnliche Vorführungen gibt es in Europa. Allerdings ohne Zitteraale, sondern mit Elektrisiermaschinen. Damit kann man auf Salons den Damen die Haare zu Berge stehen oder Funken springen lassen.»
Verónica kicherte. «Standen Ihre Haare auch einmal zu Berge?»
Janna schüttelte den Kopf. «Ich habe mich nicht getraut.»
«Hat der Drachenherr sich wenigstens entschuldigt?»
«Bitte? Entschuldigt? So etwas kannte er nicht.» Janna rollte mit den Augen. So über Arturo zu reden war etwas ganz anderes, als ihn Reinmar gegenüber schlechtzumachen. Das hier war Vergnügen, eine Märchenstunde mit einem Märchenhelden für ein junges Mädchen. Dass die Geschichten der Wahrheit entsprachen, war nur ein kleiner, feiner Unterschied. Verónica bat um ein weiteres Kapitel des Buches, in dem sie gerade lasen. Also schlug Janna es auf und las von El Cid Campeador, der seine letzte Schlacht als Leichnam festgebunden auf seinem Hengst schlug, das Schwert in der erstarrten Hand. Die Lider des Mädchens sanken, und Jannas Gedanken wanderten zurück zu Arturo. Ob es Reinmar gelungen war, etwas für ihn zu tun? Was konnte man in diesen Zeiten mit ein paar Piastern und ein bisschen Gold erreichen? Vielleicht nur eine Schale Maisbrei mehr am Tag? Das wäre besser als nichts. Sie blickte zur Schreibtischschublade, in deren Tiefen die Inkakette ruhte. Noch mehr Gold. Wesentlich mehr Gold. Sie wäre ohne weiteres bereit, es zu opfern. Doch dass Reinmar es ihr gegeben hatte, änderte nichts daran, dass es Arturo gehörte. Und er würde es nicht für ein paar Vergünstigungen seinen Wärtern in den Rachen werfen wollen.
Verónicas Kopf sackte herab, als sie fest einschlief. Leise legte Janna das Buch auf den Nachttisch. Als sie aufstehen wollte, öffnete sich die Tür, und Lucila schob sich ins Zimmer. Janna legte einen Finger auf den Mund.
«Ich soll von Señora Wellhorn sagen, dass Sie nicht so lange bleiben sollen», flüsterte das Mädchen. «Damit Sie sich nicht bei der Señorita anstecken. Wegen der … der …»
«Miasmen. Mir passiert schon nichts. Was ist denn, Lucila?»
Lucila rieb sich die breite Nase. «Mir ist Doña Begoña unheimlich. Sie hat sich einen Stuhl neben das Arbeitszimmer vom Gouverneur stellen lassen; jetzt hockt sie da und betet.»
Janna nickte. De Uriarte verließ den Raum seit Tagen nicht mehr. Er öffnete nur noch, um das Essenstablett entgegenzunehmen, und hatte sich für die anderen körperlichen Bedürfnisse einen Leibstuhl bringen lassen. «Frag sie, ob sie etwas zu trinken möchte. Ansonsten ist Beten sicher nicht das Schlechteste. Was können wir auch sonst tun?»
«Ich bete ja.» Etwas Helles schimmerte zwischen den wie dunkles Holz wirkenden Fingern des Mädchens. Es war die grobgeschnitzte Figur einer Frau. «Maria Lionza hilft bestimmt.»
Solche Bildnisse hatte Janna hin und wieder unter der Dienerschaft gesehen. Einer der Hausburschen hatte eine ähnliche Tätowierung wie Arturo, nur war seine Maria Lionza nackt wie die Sünde.
«Geh, Lucila», sagte Janna schroffer als beabsichtigt. «Ich will davon nichts hören.»
«Ja, Doña
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