Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
ein.»
    Was sie redete, ergab keinen Sinn. Allerdings hatte er wie jeder Mann in jungen Jahren, bevor er sich endgültig gebunden hatte, gewisse Erfahrungen in der Damenwelt gesammelt. Daher wusste er, dass eine Frau zur Verwirrung und Hysterie neigte, wenn ihre Gefühlswelt durcheinandergeraten war. Janna hatte er allerdings eher für robust gehalten. Hatte er sich getäuscht?
    Sie stand am Fenster, den Rücken ihm zugekehrt. Ihre Hände lagen auf den Schultern, als wolle sie sich selbst Trost schenken. Eine Strähne hatte sich aus ihrem Chignon gelöst und ruhte auf ihrem Nacken als eine Einladung, hinter sie zu treten und das Haar mit den Lippen beiseitezuschieben. Wie gerne würde er die Hände auf ihre weiblich gerundeten Hüften legen …
    Ein helles Blitzen lenkte seinen Blick zurück auf den Schreibtisch. Halb unter einem Blatt verborgen lag an einer Lederschnur das goldene Inkadreieck, das sie von ihrer Reise mitgebracht hatte. Er schob das Papier beiseite. Dieser Schmuck hatte ihn inspiriert, ihr die Inkakette zu schenken. Es wäre besser gewesen, sie zu verkaufen und für einen Teil des Erlöses ein anderes Schmuckstück zu erwerben. Was allerdings erst nach dem Krieg möglich gewesen wäre. Und solche Altertümer gefielen ihr ja. Er hatte geglaubt, sie würde ihm dafür um den Hals fallen. Stattdessen hatte sie ihn weggestoßen. Weshalb war er so blind gewesen? Ihr Kleinod und jene Kette – sie gehörten zusammen. Sie hatte sich nicht über das hässliche Fratzengesicht echauffiert, wie er im ersten verblüfften Moment geglaubt hatte. Sie hatte es wiedererkannt .
    «Reinmar», sie fuhr zu ihm herum. Er schaffte es noch rechtzeitig, seine Finger zurückzuziehen. «Ich habe es mir überlegt. Ich nehme das Geld doch.»
    Sie machte zwei Schritte auf ihn zu. Vielmehr auf den Schreibtisch. Als sei er eine lauernde Spinne, wagte sie sich nicht näher.
    «Wofür brauchst du das Geld?», fragte er.
    Schwer schluckte sie; ihr Blick irrte umher. «Arturo», stieß sie schließlich hervor und atmete tief ein, als habe allein das Aussprechen des Namens viel Kraft gekostet. «Er ist im Gefängnis, und es ergeht ihm dort schlecht.»
    Er wartete, dass sie weitersprach. Aber während sie ihn auf ihre altbekannte trotzige Art anschwieg, die er wie alles an ihr liebte, hob sie den Blick nicht höher als bis zu seiner Brust. «Du willst ihm Hafterleichterungen erkaufen», half er ihr schließlich aus.
    «Ja.»
    «Weißt du überhaupt, wie man da vorgeht?»
    «Ich habe keine Ahnung.»
    «Ich werde es tun.»
    «Du? Warum?»
    Nun, warum? «Weil er mir das Liebste gerettet hat, das ich besitze.»
    Unglauben, Zweifel, Ablehnung – alles zugleich blitzte in ihren Augen auf, die sich flüchtig weiteten. «Versprich mir, dass du ihm wirklich hilfst.»
    «Ja. Gewiss.»
    Sie stürzte auf den Schreibtisch zu, fegte einige Blätter beiseite und langte nach dem goldenen Anhänger. «Hier, nimm das mit! Ich brauche es nicht. Nimm es!»
    Er steckte ihn in die Rocktasche. Janna floh zurück ans Fenster. Ihre Schultern bebten in dem krampfhaften Versuch, jetzt nicht vor ihm zu weinen. Er murmelte einen Abschiedsgruß, den sie vermutlich nicht hörte, und ging hinaus.
    Endlich würde er den Kerl sehen, der ihr den Kopf verdreht hatte.
    ***
    «Bitte, Mamá, es geht mir doch schon viel besser.» Unbeholfen strich Verónica über die Wange ihrer weinenden Mutter. Die Marquesa hatte die Finger um einen Rosenkranz geschlungen und wisperte Gebete, während dicke Tränen Furchen durch den Gesichtspuder zogen.
    «Ja, der heiligen Jungfrau sei Dank», schluchzte sie auf. «Was machen deine Bauchschmerzen?»
    «Sie sind fast weg.»
    «Und dein Stuhlgang?»
    «Heute hatte ich keinen Durchfall mehr.»
    «Trotzdem, ich lasse noch einmal unseren Hausarzt rufen.» Die Marquesa schnäuzte in ihr Spitzentaschentuch, erhob sich schwerfällig und angelte nach ihrem Gehstock mit dem goldenen Knauf, den sie seit einigen Tagen benutzte. Einen sichtbaren Grund gab es dafür nicht; sie war so gut auf den Beinen wie sonst auch. Janna nahm an, dass sie ihn benötigte, weil die Sorgen so schwer auf ihrem Kreuz lasteten.
    Janna sprang auf, um ihr zu helfen, unter dem Moskitonetz hervorzukommen, das über dem Bett von der Decke hing. «Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, Doña Janna», sagte die Gouverneursgattin freundlich. Als sie sich umwandte und zur Tür schritt, knurrte sie wütend in sich hinein: «Fluch den Rebellen! Die sind an allem schuld, Gott möge sie

Weitere Kostenlose Bücher