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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Janna.» Lucila drehte sich um und kam dann doch ans Bett. Aus der Tasche ihrer Schürze zog sie einen Brief. Sie lächelte schief. «Den hätte ich fast vergessen. Eins der Hausmädchen hat ihn mir eben in die Hand gedrückt, und die hat ihn von Señor Götz.»
    Sie huschte hinaus. Janna riss den Brief auf und entfaltete ihn. Was mochte Reinmar im Gefängnis erreicht haben? Selbst wenn es wenig oder nichts war – dass er es überhaupt versucht hatte, war ihm hoch anzurechnen. Hastig überflog sie die Zeilen. Kein Wort von Arturo. Stattdessen bat er sie, nächsten Sonntag mit ihr zum Gottesdienst zu gehen. Kopfschüttelnd ließ sie das Blatt sinken. Offenbar waren alle um sie herum nicht mehr bei Sinnen. Frau Wellhorn schlurfte wie ein Geist durchs Haus; Lucila und, soweit Janna wusste, auch David drückten sich in düsteren Ecken herum, um zu dieser schrecklichen Maria Lionza zu beten; Doña Begoña und ihr Gatte waren vollends mit den Nerven am Ende, und nun wollte Reinmar, der Atheist, in die Kirche?
    ***
    Verónica hatte ihr erzählt, was es mit der Lieben Frau vom Schnee auf sich hatte. Einer Heiligenlegende zufolge sei in der Spätantike einem römischen Ehepaar die Jungfrau Maria im Traum erschienen. Sie habe um den Bau einer Kirche gebeten, an einem Ort, der bald von Schnee bedeckt sein solle. An einem heißen Sommertag sei tatsächlich einer der sieben Hügel Roms verschneit gewesen. Und die Kirche wurde natürlich errichtet. Janna fragte sich, ob das strahlende Weiß des marmornen Altars von Nuestra Señora de las Nieves daran erinnern sollte. Die vielen Simse waren mit welkenden Blumen überhäuft, und auf Wandpodesten standen etliche Figuren von Maria und dem Stadtheiligen Thomas in bunten Gewändern. Es roch nach Kerzenwachs und Weihrauch und dem Schweiß all der Menschen, die sich im Kirchenraum drängelten. Früher war dauernd geschwätzt worden, doch je länger der Krieg andauerte, desto andächtiger lauschte man der Predigt des Bischofs und dem Gesang des Knabenchors.
    Janna ließ sich hin und wieder blicken. Nicht nur um des guten Rufs willen. Sie hatte sich für ein Leben in Venezuela entschieden; dazu gehörte eben auch, sich den hiesigen religiösen Gepflogenheiten ein wenig zu öffnen. Allerdings würde es wohl ein halbes Leben dauern, bis sie all den bunten südamerikanischen Flitter und die Heiligenverehrung nicht mehr befremdlich finden würde. Einmal hatte der Bischof höchstselbst sie nach der Messe beiseitegenommen und freundlich gefragt, ob sie nicht konvertieren wolle. Gott im Himmel, das nun nicht!
    Sitzplätze waren rar, wenn man nicht frühzeitig kam, und so stand sie zwischen Reinmar und Lucila hinter der letzten Reihe. Die stickige Luft lag wie eine schwere Decke auf ihr. Ständig musste sie ihr Taschentuch aus dem Ausschnitt ziehen und das Gesicht abtupfen. Wenigstens hatte sie darauf verzichtet, es zu pudern. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und hoffte, die Zeit möge vorübergehen. Bischof Cabello predigte vom Ausharren in schlimmen Zeiten, und wie der Herrgott und Mose durch die Qualen der Wüste gegangen seien und niemals den Glauben verloren hätten, so solle man es halten wie sie. Danach breche eine bessere Zeit an.
    «Ob er wohl merkt, dass es klingt, als ersehne er sich Bolívar herbei?», raunte Reinmar ihr zu. Sie dachte, dass sich vermutlich die ganze Stadt nach Bolívar sehnte – denn sein Einreiten würde das Ende des Krieges bedeuten. Die Kämpfe hatten sich in Richtung San Félix verlagert. Von einer großen Schlacht dort war die Rede, zu der Bolívar und sein general de brigade , der Mulatte Manuel Piar, gegen die Truppen de la Torres aufmarschierten. Zunächst jedoch ersehnte sich Janna nur das Ende des Gottesdienstes. Sie kämpfte um eine aufrechte Haltung. Sicherlich glänzte ihr Gesicht ebenso wie das von Lucila. Endlich sprach Cabello das Schlussgebet und den Segen. Unter Glockengeläut begann der Auszug der kirchlichen Würdenträger. Schwarz gekleidete Frauen schoben sich nach vorne, um vor dem Altar auf die Knie zu fallen und ihrer Trauer um verstorbene Männer und Söhne lauthals freien Lauf zu lassen.
    Reinmar legte ihre Hand in seine Armbeuge und führte sie durch das Gedränge zum Portal. Mit der anderen ergriff sie Lucilas, die schluchzte, obwohl sie niemanden verloren hatte. Janna hoffte auf eine stille Minute, in der Reinmar ihr endlich erzählte, was er für Arturo getan hatte. Auf der kurzen Herfahrt war er schweigsam gewesen, und sie

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