Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
gehen, wo die Marquesa herstammte. Keine bequeme Reise – angeblich waren die Straßen kaum mehr als Schlammpfade, die ständig von umgestürzten Baumstämmen blockiert wurden. Janna hoffte, dass Verónica die Reise überstand. Wenigstens hatte man der Familie erlaubt, mit all ihrem Besitz zu gehen, wenn man von den wuchtigsten Möbeln absah. Auch das Privathaus war dem neuen Gouverneur übergeben worden. Bolívar und seine Generäle hatten sich in der Halle an der Plaza gegenüber der Kirche einquartiert; es wurde nun die Kongresshalle genannt. Auf sämtlichen öffentlichen Gebäuden wehte die neue Flagge Venezuelas, die nach dem Willen des Libertadors dereinst ganz Südamerika repräsentieren sollte.
    «Und jetzt?», fragte Frau Wellhorn.
    Janna blickte um sich. Da stand die Anstandsdame, schmal, gebeugt und sicherlich um zehn Jahre gealtert. David, der verträumt wie eh und je wirkte, als habe es weder Krieg noch Hunger gegeben, und Lucila, die um einen Kopf gewachsen zu sein schien und selbstbewusst dreinschaute. Alle drei trugen in den Händen und unter den Achseln verteilt Taschen und Koffer und Bündel.
    «Ich weiß nicht … Irgendwo müssen wir uns einquartieren. Vielleicht sollte ich Doctor Cañellas fragen, ob er uns die Kammer zur Verfügung stellt, in der Reinmar gewohnt hat.»
    «Und warum machen wir es nicht auch wie Señor Götz und gehen zurück nach La Jirara?», wollte Lucila wissen.
    Janna verzog das Gesicht. Genau das wollte sie keinesfalls.
    «Einen wildfremden Arzt fragen!», schnaubte Frau Wellhorn. «Bei Gott, denken Sie an Ihren Leumund!»
    «Also, der ist doch …»
    «Und sagen Sie nicht wieder, dass der in Kriegszeiten unwichtig wäre. Wir haben jetzt Frieden. Es ist dringend an der Zeit, sich wieder an Ordnung und Anstand zu gewöhnen, so schwierig das in diesem Land auch sein mag.»
    «Was schlagen Sie vor?»
    «Dass wir uns eine Mietkutsche nehmen und nach La Jirara fahren.»
    Lucila nickte bekräftigend. Der Junge zuckte nur mit den Achseln, vorsichtig, damit er Jannas Necessaire nicht verlor. Was so viel hieß, dass auch er zurück wollte. Janna drehte sich mitsamt der Staffelei unter dem Arm um ihre Achse, als könne sich ringsum eine Lösung auftun. Zu Doctor Cañellas zu gehen wäre jedenfalls keine – länger als ein paar Tage konnten sie ihm unmöglich zur Last fallen.
    Ich könnte nach Hause. Nach Hamburg .
    Sie versuchte sich das vorzustellen. Sicher, die erste Wiedersehensfreude wäre groß. Aber dann? Auf den Schultern des Vaters läge die schwierige Aufgabe, sie – nun mit einem tatsächlich irreparabel beschädigten Ruf – unter eine andere Haube zu bringen. Schwierig in den Kreisen steifer, reservierter Pfeffersäcke, die sich als die wahren Herren Hamburgs sahen. Und fände sich eine akzeptable Partie, wäre das keinesfalls eine Liebesheirat, denn sie hatte ihre wahre Liebe gelebt, wenn auch nur für einen Kuss. Eine zweite würde es niemals geben. Gisela würde noch hochnäsiger werden. Friedhelm wäre das ganze Thema fürchterlich egal. Nein, ihnen allen wollte sie nicht so beschämt gegenübertreten. Nur Oma Ineke, ja, in deren Arme sich zu werfen, ersehnte sie heftig. Oma Ineke wüsste vielleicht keinen Rat, aber Trost. Und wenn sie ihr nur einen kräftigen Schluck Rum in den Tee schütten und augenzwinkernd sagen würde: Wat mutt, dat mutt, min Deern.
    Blinzelnd sah Janna in den gleißend blauen Himmel, den keine Wolke trübte. Er war anders hier. Die Sonne war anders. Die Sterne. Aufregender, schöner, verheißungsvoller, trotz aller Niederlagen, trotz des schlimmsten aller Verluste. Nein, das kalte, graue Hamburg zu betreten wäre für die Dauer eines Besuches sicher ein Vergnügen. Aber leben konnte sie dort nicht mehr. Allein der Gedanke an die hanseatischen Bürgerhäuser mit ihren kleinen Fenstern, den schweren dunklen Möbeln und dem angegrauten Stuck ließ sie frösteln. Die Elbe war nicht der Orinoco, die Elbmarschen waren nicht die voll von buntem Leben überwucherten Landstriche hierzulande. Aber vor allem die Erinnerung an Arturo machte Venezuela zu dem schönsten Land der Welt.
    Gott, Arturo … Wann hörte dieses schmerzhafte Brennen in der Brust auf? Würde es je aufhören? Und wollte sie das überhaupt? Oder war es nicht auch, als trüge sie einen schweren, harten, kostbaren Schatz in sich?
    «Fräulein Janna!»
    «Ich kann nicht zu Reinmar zurück.»
    «O doch, Sie können. Eine Vernunftehe einzugehen ist das Schicksal fast aller Frauen.

Weitere Kostenlose Bücher