Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
den Verdacht, dass ihm dieser Anlass sehr gelegen kam, sie zu sich zu zwingen. «Lass mich los, Reinmar.»
    «Es ist jetzt nicht der rechte Zeitpunkt, das Gefieder zu sträuben. Wir müssen zusehen, dass wir ohne Blessuren aus dieser Sache herauskommen.»
    Mit einem resoluten Ruck riss sie sich los und machte so heftig kehrt, dass ihr Cape flatterte und ihr fast der Sonnenhut vom Kopf fiel. Die Hand am Hut, hastete sie den Weg zurück. Wenn er sie noch einmal so grob anfasste, würde sie ihm eine Backpfeife verpassen müssen. Doch sie sah und hörte nichts mehr von ihm; sie tauchte ein in das Gewirr und ließ sich zur Plaza mittreiben.
    Sie staunte, dass so viel einfaches Volk unterwegs war – sie hatte geglaubt, dass es jenen, deren Kampf ums tägliche Brot am härtesten war, zugleich am unwichtigsten war, wer in der Casa de los Gobernadores herrschte. ¡Vamos, vamos! , schrie es allerorten, wenn es den Leuten nicht schnell genug ging, und: ¡Madre de Dios! , als rhythmisches Trommeln, Pfeifen und das Klappern von Hufen auf dem Pflaster den Einzug der Sieger ankündigten.
    All das erinnerte sie an Arturos Tod, trotzdem kämpfte sie sich nach vorne. Eine Vorhut abgekämpfter Grenadiere in dunkelblauer, schweißfleckiger Kleidung kam vom Hafen herauf, die Karabiner mit den Bajonetten geschultert. An ihren Feldtornistern baumelten Gürtel, Kordeln, Medaillons und andere Trophäen. Dahinter die Regimentskapelle und acht Reiter in pelzverbrämten Husarenregimentsuniformen und langen roten Stutzen auf den Tschakos. In den behandschuhten Fäusten hielten sie ihre Kavalleriedegen gereckt, an deren Klingen getrocknetes Blut klebte. Ihnen folgten hintereinander drei Reiter in prächtigen Galauniformen. Zwei Soldaten liefen nebenher; einer trug die gelb-blau-rote Fahne der Republik. Sie war so gewaltig, dass er Mühe hatte, die Stange aufrecht zu halten und sich nicht im Stoff zu verheddern. Ihre ausgebleichten Farben und rissigen Säume verrieten, dass sie während des lange Jahre währenden Freiheitskampfes oft im Wind geflattert hatte. Der andere reckte eine Pistole in den Himmel. Als der Salutschuss kam, ging es Janna durch Mark und Bein, und ihr brach kalter Schweiß aus. Sie hasste diesen Geruch verbrannten Pulvers, der noch wie eine Schicht alten Drecks über der Stadt lag. Infanteristen und Kavallerie verteilten sich in den Straßen, sodass sich das Volk auf der kleinen baumbestandenen Plaza wie eingekesselt zusammenschob. Vor dem Regierungspalais hatten einige Frauen unruhig Aufstellung genommen und hoben Bögen aus spärlichen, verwelkten Blütengebinden. Und in der zierlichen Glockenmauer der Kathedrale begannen die Bronzeglocken zu läuten.
    Die drei Reiter hielten auf den Regierungspalast zu. Der hintere trug ein schottisches Plaid, unter dem nackte, dichtbehaarte Knie herausschauten. Das konnte niemand anderer als Gregor MacGregor sein, der für Bolívar die Küstenstadt Nueva Barcelona erobert hatte. Seine wohlbeleibte Gestalt und sein gemütlicher Backenbart wollten so gar nicht zu seinem Ruf als Abenteurer passen. Auch der zweite Reiter wirkte nicht, als habe er eigenhändig seinen Degen in der Schlacht geschwungen. Eher wie ein Mann, der seine Tage hinter einem Schreibtisch zubrachte; es fehlten nur die Ärmelschoner über seinem schlichten Rock. Der vordere jedoch, schlank und hochgewachsen, die Gesichtszüge von aristokratischer Schönheit, wirkte in seiner schwarzen Uniformjacke mit den goldenen Stickereien auf dem breiten Kragen wie ein Kriegsheld. Eine goldene Schärpe lag um seine straffe Mitte. Sein Teint war europäisch, seine Haare glatt. Und doch erahnte man den Mulatten. Er ritt bis dicht an das Portal. Es stand offen.
    «Ich bin general de brigada Manuel Carlos Piar Gómez», sagte er laut, und sofort wurde es still. «Wo ist Felipe de Uriarte, der Bürgermeister dieser Stadt und Gouverneur von Guayana?»
    Das also war Piar, der Freund des Libertadors und seine rechte Hand. Janna fragte sich, ob Simón Bolívar vielleicht doch nur eine Phantomgestalt war. Sie war zornig auf diesen Mann und wusste nicht so recht, weshalb. Für seine Sache hegte sie durchaus Sympathien. Jemand wie Arturo hätte in seinem Land vielleicht eine größere Chance auf ein ehrbares Leben gehabt. Aber hätte sich Bolívar nicht ein wenig beeilen können? Vor zwölf Jahren, so hieß es, hatte er auf dem Monte Sacro in Rom geschworen, sein Vaterland von Spanien zu befreien. Und jetzt war er für Arturo nur um ein paar Tage

Weitere Kostenlose Bücher