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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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zu spät gekommen. Verflucht sollte er sein. Falls es ihn gab.
    Die Reiter saßen ab und versammelten sich vor der geöffneten Tür. Sie unterhielten sich, und bald machte der Name des Unscheinbaren die Runde, Fernando Peñalver, der offenbar als neuer Gouverneur einziehen sollte.
    «Worauf warten die denn?», krähte es neben Janna.
    «Lucila! Was machst du denn hier?»
    «Na, das Gleiche wie Sie, Doña Janna», kiekste das Mädchen. Es grinste so breit, dass das Lächeln fast von Ohr zu Ohr reichte.
    «Auf den Libertador warten sie», warf jemand ein. «Dort kommt er!»
    Wie auf ein Kommando neigten sich die Wartenden nach vorne, um die Straße zu überblicken, die vom Hafen heraufkommend in die Plaza mündete. Noch ein Husarentrupp ritt ein. Noch eine zerfledderte Fahne, noch eine Militärkapelle. Wo wollten die alle hin? Es war kaum Platz zum Atmen. Grenadiere sorgten dafür, dass die Straße zum Regierungspalais frei blieb. Eine Salve von Salutschüssen begleitete den Einzug der Sagengestalt; jeder Schuss ließ Janna schmerzvoll zusammenzucken. Die drei Glocken der Jungfrau vom Schnee gaben ihr Bestes.
    «Bolívar!», schrie eine Frau und warf die Arme hoch. Andere stimmten ein, bis der ganze Platz jubelte. Janna hatte recht wenig über die Gedanken der Angosturer gewusst, und auch jetzt fragte sie sich, ob sie alle die Unabhängigkeit begrüßten oder einfach nur das Ende des Krieges. Zugegeben, der Mann, der auf seinem Schimmel hinter der Kapelle und weiteren Getreuen zu Pferd die Straße entlangritt, wirkte beeindruckend in seiner prächtigen Uniform, welche die Farben der Republik widerspiegelte: blau die Uniformjacke, rot die Ärmelaufschläge und das Plastron auf der Brust und golden die Stickereien, Epauletten und die Knöpfe aus dem Gold Atahualpas.
    «Er sieht wirklich aus wie ein Held», schwärmte Lucila und stampfte mit dem Fuß auf: «Tod den Royalisten!»
    Staunend musterte Janna die glänzenden Augen der Sklavin. So unbedarft, wie sie immer geglaubt hatte, war das Mädchen gar nicht. Allerdings wirkte Bolívar nicht wie ein strahlender Krieger. Die Linien seines Gesichts unter der hohen Stirn waren tief eingegraben, die dichten Brauen gesenkt. Wie alt war er, Mitte dreißig? In jungen Jahren, hieß es, sei er ein Frauenheld gewesen; keine Dame in den Salons von Paris und Rom sei vor ihm sicher gewesen. Eine gewisse Attraktivität war ihm nicht abzusprechen. Eitelkeit wohl auch nicht, angesichts seiner Aufmachung – anscheinend liebte auch er prächtige Degen und glänzende Sporen; die seinen waren sogar vergoldet. Doch jetzt wirkte er verhärmt und abgekämpft. Einige Frauen und auch Männer rannten zu ihm und griffen nach dem Pferdehalfter. Es schien, als wollten sie ihn anflehen oder sogar anbeten, und er wechselte mit jedem einige Worte, sodass sie glücklich wieder zurücktraten. Lucila zappelte, als triebe es sie ebenfalls zu ihm. Eine schrille Stimme ließ ihn den Kopf heben. Vor dem Regierungspalast stand die Marquesa, ganz in ein schwarzes Cape mit rotem Futter gehüllt, die Frisur unter einer schwarzen Haube verborgen. Sie stand leicht zur Seite geneigt auf ihren Gehstock gestützt.
    «Vivat Ferdinand! Vivat España!»
    Sie schrie es immer wieder, schlug dabei mit dem Stock aufs Pflaster; langsam verstummte die Menge und starrte sie an. Ihr Cape war voller kostbarer Stickereien in Gold und Silber: der manta der ersten Siedlerinnen, das Zeichen der Zugehörigkeit zur höchsten Kaste. Das Reitergrüppchen um Piar schien nicht recht zu wissen, was es tun sollte. Schließlich schnalzte Bolívar mit der Zunge, und sein andalusischer Atlasschimmel schritt auf die aufgelöste Frau zu. Je näher er kam, desto unsicherer wurde ihre Haltung. Ihr Kinn zuckte seitwärts, während sie sich zu straffen versuchte. Gott im Himmel, die Frau war krank – warum hatte sie das auf sich genommen? Janna löste sich aus der Reihe, hastete ungehindert an Bolívars Pferd vorbei, das entsetzlich nach Schweiß stank, und streckte die Hände im gleichen Moment nach Doña Begoña aus, als diese zu fallen drohte. Die Mantuana klammerte sich an ihrem Arm fest. Doch sie schien Janna kaum wahrzunehmen.
    «Ihretwegen hat sich mein Gatte das Leben genommen», sagte sie mit Grabesstimme. «Ihretwegen ist eine meiner Töchter schwer krank.» Sie spuckte in Bolívars Richtung, der sich davon unbeeindruckt zeigte.
    «Señora, das bedaure ich. Jedoch kann ich nicht sagen, es hätte nicht in meiner Absicht gelegen. Opfer sind

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