An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Er muss ertrunken sein. Dann ging das Wasser zurück, und er lag in der Sonne, bis …»
«Nun ist’s aber gut», rief Janna. «Du schaust nach dem Brunnen. Lucila, versuch hier noch ein bisschen Ordnung zu machen und pass auf Frau Wellhorn auf.»
Sie selbst würde einen anderen Berg von Arbeit abtragen: Sie würde zu Reinmar gehen und ihm sagen, dass sie bliebe, aber nur vorerst und nicht als seine Braut. Als sie mit ihrem kleinen Tross zur heißesten Mittagszeit angekommen war, hatte sie ihn herausrufen müssen, damit er den Kutscher bezahlte. Er hatte ihre Hand berührt, sie steif willkommen geheißen und war dann wortlos im Haus verschwunden. Das mochte nun anderthalb Stunden her sein – die Standuhr im Salon gab keinen Laut mehr von sich. Seitdem hatte er sich nicht wieder blicken lassen. Janna ging noch einmal ins obere Stockwerk, da sie ihn in seinem Schlafzimmer vermutete. Dort war er nicht. Auch nicht im Ankleidezimmer mit den aufgerissenen und gähnend leeren Schränken und Truhen. Also lief sie wieder die Treppe hinab und begab sich in den Salon. Hier hatten die Separatisten sämtliche Tische und Betten nebeneinandergereiht und, wo es möglich war, Hängematten aufgehängt. Geruch von Blut, Wundbrand und Eiter klebte an allem. Die Matten und Strohmatratzen würde man verbrennen, die Tische abschleifen müssen. Auch die Seidentapeten waren nicht mehr zu retten; überall klebten dunkle Flecken. Janna stutzte. An einer Wand hatte man ihre Aquarelle und Zeichnungen angenagelt. Sie blieb eine Weile davor stehen und versuchte sich vorzustellen, dass hier Männer gelegen hatten, die angesichts des Todes nach ihrer Mutter geweint und zugleich den golden gemalten Fluss betrachtet hatten, um vielleicht ein wenig Trost darin zu finden.
Er saß im Teezimmer. Es war ein kleiner Raum mit chinesischen Tapeten in Schwarz, ein wenig Rot und Blattgold. Die zierlichen Fauteuils waren ebenfalls düster gepolstert und der kleine runde Tisch schwarz gebeizt. Ausgerechnet diesen scheußlichen Raum, in den Janna kaum mehr als dreimal ihren Fuß gesetzt hatte, hatten die Soldaten verschont. Und ausgerechnet hier hockte Reinmar in einem kleinen Damensessel. In einer Hand hielt er ein fast geleertes Sherryglas. Die andere ruhte auf einem Hufeisen, das er sich auf den Schenkel gelegt hatte.
Sie räusperte sich.
Er stellte das Glas auf den Tisch und versuchte den Rücken zu straffen. In seinem Gesicht stand noch der Schock. Er musste La Jirara wirklich geliebt haben. «Ich bin froh, dass du da bist», sagte er.
Ich bin es nicht . «Wie sieht es im Stall aus?», fragte sie, nur um einen Anfang zu finden.
«So schlimm wie hier. Es steht sogar ein Pferd darin: ein alter Kavalleriegaul, der anscheinend als Packpferd gedient hat. Und ein Maultier. Wahrlich eine nette Entschädigung.» Er trank zur Neige, stemmte sich hoch und kam auf sie zu. Janna zwang sich, nicht vor ihm zurückzuweichen, als sei er ein Soldat, der zurückgeblieben war, weil er zu viel getrunken hatte. Dicht bei ihr blieb er stehen, sah sie so warm wie verzweifelt an und ging dann hinüber ins Esszimmer.
«Hier habe ich damals Don Carlos del Morales y Rofes zum Frühstück empfangen.» Seine Finger glitten über die Lehne des einzigen Stuhls, der hier noch stand. Der Boden war mit Asche und verkohltem Holz bedeckt. Knochen, die eindeutig von Pferden stammten, lagen sorgfältig abgenagt auf einem Haufen. Langsam schritt er zum Fenster, das auf die Weiden und das graublaue Band des Guayana-Hochlandes am Horizont hinausging. Wenigstens dieser Anblick war derselbe wie früher: ein Fest der Schönheit, eine Verheißung. «Weißt du noch, damals auf dem Schiff? Wir hatten ausgemacht, dort draußen den ganzen Tag unterwegs zu sein, damit wir abends zu müde waren, um uns an den Strafpredigten der Fregatte zu stören.»
«Ich weiß es noch.» Er will, dass ich sage: ‹Unsere Zeit wird noch kommen. Es wird alles wahr werden, was wir uns erträumten.›
Unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Rastlos tanzten seine Finger auf dem Fensterbrett. «Meine Reise nach Caracas, wegen des englischen Vollblüters, muss noch eine Weile warten. Ich werde versuchen, in den Llanos einige Pferde zu kaufen, robuste Criollos. Aber erst wenn die Gegend wirklich ruhig ist. Erst einmal muss La Jirara wieder instandgesetzt werden.»
«Ist denn keiner der Pferdeknechte mehr da? Ich habe niemanden gesehen.»
Er schüttelte den Kopf. «Die sind alle weg. Von Entrerríos habe ich auch
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