An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
sie Schnüre, an denen sie kleine Muscheln und Schnecken befestigte, die sie auf ihren Ausritten gefunden hatte. Als Frau Wellhorn ihre nackten Füße mit dem barbarischen Schmuck sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. Bei Gott! Wenn Ihr Herr Vater diesen indianischen Firlefanz sähe!
Und Janna lachte.
Der August brach an. Das Haus war immer noch eine Baustelle, nur der Patio und einige Zimmer sahen mittlerweile wohnlich aus. Immer öfter zog es Janna nach getaner Arbeit hinaus ins Land. Sie lief zu Fuß, oft sogar barfuß und mit den gescholtenen langen Schritten, sodass der Schlitz ihres Kleides aufsprang. Manchmal nahm sie auch das Maultier, aber es war ihr zu bockig. Stets hatte sie einen Korb bei sich, um Früchte und Nüsse aufzusammeln, oder sogar ein keimendes Paranussbäumchen, das sie in die vernachlässigten Blumenbeete vorm Haus einsetzte. Oder sie sammelte in brackigen Gewässern Seerosen und Wasserhyazinthen, um dem steinernen Teich im Patio wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Sie versuchte sich auch am Pflanzen von Maniok und Avocados und fand, dass sie als Siedlerin in früheren Zeiten keine so schlechte Figur abgegeben hätte.
***
«Janna. Janna!» Eine kräftige Hand rüttelte sie aus dem Schlaf. Sie fuhr hoch. Reinmar hatte sich unter das Moskitonetz geschoben. Im fahlen Mondlicht sah sie, dass sein Oberkörper nackt war. Hatte sie ihn je derart entblößt gesehen? Rasch warf sie die Decke über sich, die sie wie gewohnt des Nachts heruntergestrampelt hatte, weil die Hitze sonst nicht zu ertragen war.
«Ist etwas passiert?»
«Nein.» Wieder diese Ahnung von Alkohol, die sie in letzter Zeit öfter an ihm wahrnahm. «Außer dass ich Geld beim Rocambor verloren habe.»
Sofort war sie hellwach. «Was ist denn das?»
«Ein Kartenspiel. Beim Hahnenkampf hatte ich etwas mehr Glück. Heute allerdings …»
«Gott im Himmel, Reinmar!» Glücksspiele! Gehörten die zum Dandytum? Sie wusste es nicht. Aber dass es ein Fauxpas war, seiner Dame – für die er sie leider immer noch hielt – davon zu erzählen, noch dazu mitten in der Nacht, das wusste sie. Morgen würde er es bereuen. Sie musste ihn loswerden, bevor er noch mehr preisgab. «Reden wir am Tag darüber, ja? Jetzt bin ich müde, und du sicher auch.»
Neben dem Bett sackte er auf die Knie und legte die Hände um ihre Taille. «Janna, Liebste. Wie lange willst du mich noch hinhalten? Lass uns endlich heiraten. Du hast doch noch den Inkaschmuck? Gib ihn mir; ich versetze ihn in Caracas. Dann wird alles besser. Ich schwöre dir, ich bringe ihn dir wieder zurück, wenn er dir so viel bedeutet. Ich werde …»
«Reinmar, bitte, du tust mir weh.» Seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch. Vergeblich presste sie die Handflächen gegen seine Brust, und auch der Versuch, aus seinem Griff zu rollen und auf der anderen Seite aus dem Bett zu flüchten, schlug fehl. War dieser Mann, der sich gerade selbst kompromittierte, der Reinmar, den sie kannte? «Reinmar! Lassen Sie das!»
Die Überraschung war ihr gelungen. Abrupt richtete er sich auf. «Wieso siezt du mich?»
«Ich könnte jetzt sagen, weil wir nicht verheiratet sind, Herr Götz. Du hast es ja eben selbst gesagt. Bitte sei vernünftig und lass mich jetzt allein. Morgen reden wir.»
«Morgen? Du meinst mañana , ja? Hinhalten willst du mich! Aber das lasse ich nicht zu!» Erneut wollte er nach ihr greifen, doch sie entschlüpfte ihm und flüchtete hinter den Paravent. In Windeseile zog sie das erstbeste Kleid, das ihr in die Finger kam, über ihre Chemise.
«Janna.» Himmel, er schluchzte. Anders als Arturos Weinen klang seines nur erbärmlich. Sie setzte sich auf den Kleiderhocker, um die Stiefeletten zu schnüren. Im Dunkeln war es mühselig, aber schließlich hatte sie es geschafft. Sie warf sich ihr Cape über und schnappte sich ihr Réticule. Sicherheitshalber hob sie die lose Diele an, unter der sie den Schmuck seit dem Einbruch der fremden Frau versteckte, und stopfte ihn ins Handtäschchen.
Als sie zur Tür wollte, sprang Reinmar auf und packte ihre Hand. «Weißt du noch …»
«Ich hasse Fragen, die so beginnen.»
«… als wir unter Deck vor deiner Kabine standen? Und du zu mir gesagt hast: ‹Kiek mol wedder in.› Das würde ich heute auch gerne von dir hören. Wir gehören zusammen. Ich verzeihe dir deine Eskapaden.»
Ach, welche denn? Dass sie so schäbig gewesen war, dieses Kleid, das sie jetzt trug, anzunehmen? Dass sie sich einige feige Monate
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