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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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gegeben hatte, weil sie sich nicht allein in die Welt hinaustraute? «Ich verzeihe dir nicht , dass du Arturos Tod benutzen wolltest, mich in deine Arme zurückzutreiben», sagte sie kalt, obwohl ihr Inneres vor Verzweiflung glühte.
    «Arturo!» Eine Faust fuhr hoch und ging auf dem Damenschreibtisch nieder. «Wie kannst du mir einen Halbindianer vorziehen? Einen Verbrecher? Verdammt soll er sein!»
    «Lass mich gehen.»
    «Janna!», schrie er.
    «Sei still! Oder willst du, dass meine Anstandsdame Zeuge wird, wie du dir die Maske des Gentlemans vom Gesicht reißt?»
    Jedes Wort war ein Peitschenschlag, der ihr selbst das Fleisch aufriss. Dieser Mann hatte ihr einmal etwas bedeutet; sie spürte es mit jedem Hieb. Kopfschüttelnd ließ er sie los, blieb jedoch neben dem Bett stehen. Auf dem Flur erklangen Schritte in weichen Pantoffeln – gleich würde Frau Wellhorn hereinplatzen.
    «Wo willst du hin?»
    «Nirgendwohin. Nur erst einmal hier heraus, bevor Schlimmeres geschieht. Es ist besser für uns beide, das wirst du morgen einsehen, glaub mir.»
    Sie eilte hinaus, an Frau Wellhorn vorbei, die sofort einen Regen von Tadeln auf sie niedergehen lassen wollte, und hastete die Treppe hinunter.

3. Kapitel
    Die beiden Hähne tänzelten umeinander. Ihre Köpfe ruckten vor und zurück; die aufgestellten Kämme wackelten. Wie sie dann aufeinander zugingen, wirkte nicht so spektakulär, wie Janna sich das vorgestellt hatte. Sie sprangen sich an, hackten mit den Schnäbeln und versuchten sich mit den Krallen, auf die man eiserne Dornen geschnallt hatte, zu verletzen. Wild flatterten sie mit den Flügeln, sodass die schwarz glänzenden Federn flogen. Dass um das niedrige Gehege ein Dutzend Männer und Frauen standen, mit den Fäusten fuchtelten und schrien, schienen sie nicht wahrzunehmen. Als Blut zu fließen begann, ging Janna weiter. Seltsamerweise verspürte sie Hunger. Sie kramte in ihrem Réticule nach einem Real und kaufte sich in einem der Areperas ein mit Hack gefülltes Maismehlbrötchen. Undamenhaft verschlang sie es im Gehen. Draußen auf La Jirara war ihr entgangen, dass heute Nacht die Fiesta de Nuestra Señora de las Nieves begonnen hatte. Aber jetzt fiel ihr wieder ein, weshalb David und Lucila um Ausgang gebeten hatten. Die ganze Stadt erstrahlte im Licht von Laternen und Fackeln. Überall wurde getanzt, gelacht, gesungen, als wollte man mit aller Macht das Elend des Krieges aus den Köpfen bekommen. Janna erschien es unmöglich, denn die Spuren, die er an Häusern und Menschen hinterlassen hatte, waren längst nicht getilgt. An jeder Straßenecke hockten Versehrte und hoben ihre Mützen. In den gealterten Gesichtern, den tiefen Falten, den glasigen Augen und den unkontrolliert bebenden Gliedern gab es keinen Unterschied zu den Erbarmungswürdigen in Hamburg. Plötzlich schmeckte das Brötchen nicht mehr. Als sie nach ihren Münzen kramte, wollte jemand schnell wie der Blitz nach ihrem Täschchen greifen. Sie presste es an sich und hastete weiter, eine enge Straße hinauf, die in die feinere Gegend führte. Das Aufputzgeschäft war tatsächlich geöffnet. Eine feine Dame, das reichgepuffte Kleid über und über mit Schleifen und Litzen verziert, kam soeben heraus, auf dem Kopf ihre Neuerwerbung, einen überaus hohen Kastorhut. Sie ließ sich zu einer Chaise geleiten und in Richtung der Plaza Major fahren. Vielleicht war sie ja die derzeitige Liebschaft des Libertadors? War er überhaupt verheiratet?
    Janna lief weiter und geriet in einen Strom von Menschen, die zur Kathedrale drängten. Glocken läuteten. Eine Militärkapelle marschierte vorbei; ihr Gepfeife und Getrommel war so laut, dass sie sich die Ohren zuhalten musste. Es folgte eine Prozession von Nonnen und Mönchen, säuberlich nach Geschlechtern getrennt, die Kirchengesänge anstimmten. Hinter ihnen kam der Bischof, umringt von vier Trägern mit einem Baldachin, als brenne die Sonne vom Nachthimmel herab. Er trug eine Figur der Schneejungfrau in den erhobenen Händen, und ein weiterer Kirchenmann präsentierte den heiligen Thomas. Janna schob sich hinter den Zuschauern vorbei und betrat die Plaza. Auch hier wurde getanzt; Poloklänge wehten durch die aufgeheizte Luft. Vor der Kongresshalle sang ein Mann inbrünstig von der Freiheit und spielte dazu auf einer schmalen Gitarre. Janna wanderte weiter zum Gouverneurspalais, schwer bewacht wie eh und je, und dann zur Seitenwand der Kapelle.
    Natürlich waren die Blutspritzer abgewaschen und

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