An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
keinen Bartzipfel mehr gesehen. Die haben sich wahrscheinlich allesamt von den Rebellen anwerben lassen.»
«Und Xabier und Ana?»
«Von denen habe ich nichts mehr gehört. Ich will den alten Hausdiener und die störrische Köchin auch gar nicht bezahlen müssen. Im Stall steht ein Karren, den spanne ich vor das Maultier und fahre nachher in die Stadt – irgendetwas wird inzwischen hoffentlich auf den Märkten zu kaufen sein. David kann mit einem Gewehr umgehen; er soll auf euch aufpassen.»
«Hast du denn noch Geld?»
«Langsam wird es knapp. Ich werde del Morales um die Aussetzung der Pacht bitten müssen.»
Dass er sie nicht um den Inkaschmuck bat, den sie die ganze Zeit in ihrem Korsett verborgen trug, musste sie ihm zugute halten. Wäre es nicht an der Zeit, ihm das Schmuckstück zu geben? Der wahre Besitzer war tot. Doch selbst wenn Arturo wegen seiner Taten in der Hölle schmorte, so würde er dort toben, wüsste er, dass sie Reinmar den Schmuck gab. Nein, diesen Schmuck fortzugeben, würde sie erst über sich bringen, wenn sie mit einer Bettelschale im Rinnstein saß.
Während sie auf Reinmar zuschritt, zerrte sie ihren Verlobungsring vom Finger. «Hier, nimm ihn. Er war teuer.»
«Das kannst du nicht machen.»
«Ich kann, wie du siehst.» Sie legte den Ring auf das Tischchen.
Er hob den Ring mit zwei Fingern hoch, betrachtete das glänzende Gold und den Diamanten. Weitere Erklärungen waren nicht nötig. Sie sah in seiner erstarrten Miene, dass er die wahre Bedeutung der Geste erkannt hatte.
Dankend nickte Janna, als Lucila ihr einen Teller mit schwarzen Bohnen, ein wenig Reis und kleingehacktem Bananenstrunk gab. Den hatte auch Arturo gelegentlich gekocht; er war erstaunlich wohlschmeckend. Trotzdem kam Janna nicht umhin, an Puddings, Omeletts, Hamburger Kartoffeleintopf und rote Grütze zu denken. Sogar ein Streifen Tasajo käme ihr jetzt recht. Vor allem jedoch Kakao. Mit viel, viel Zucker.
«Im Küchenkeller habe ich auch Schiffszwieback gefunden», verkündete Lucila. «Den haben die Soldaten zurückgelassen.»
«Und was noch?»
«Ein bisschen Maismehl, allerdings ist es feucht geworden, und ich weiß nicht so recht, mit was. Ich habe Kaffeebohnen zusammengeklaubt, da ist ein kleines Säckchen zusammengekommen. Und altes Maismehlbrot ist da; wenn man den Schimmel wegschneidet …»
Frau Wellhorn stöhnte in ihren Teller. «Schimmliges Brot und Zwieback, wahrscheinlich mit Käfern! Was ging es uns mit den Franzosen in Hamburg doch gut.» Sie aß ein paar Bissen, dann stellte sie den Teller auf dem Schoß ab und sank in den Korbsessel. Dumpf brütete sie vor sich hin. Janna tat die alte Dame leid – dieser Situation war sie nicht gewachsen. Reinmar, der neben ihr saß, schaute ebenso stumpf in unsichtbare Fernen. Lucila und David schienen das Ganze als eine Art Abenteuer zu betrachten. Für Janna hingegen war es ein Ausflug in die Vergangenheit. Nachdem sie ihren Teller undamenhaft leergeschaufelt hatte, erhob sie sich, um ein wenig durch den Patio zu spazieren. Es war stockdunkle Nacht, die nur das Lagerfeuer am Steinteich ein wenig erhellte. Sie legte den Kopf in den Nacken. Ja, ganz ähnlich war es während der Reise auf dem Orinoco gewesen. Mücken hatten sie geplagt, wie auch jetzt. Glühwürmchen waren wie lebendige Funken durch die warme Luft gehuscht. Das sternenübersäte Firmament mit dem Kreuz des Südens, das sich strahlend über allen erhob.
… wir sahen das südliche Kreuz; es war geneigt und erschien gelegentlich zwischen den Wolken, die, wenn das Wetterleuchten durch sie hindurchzuckte, wie Silberlicht aufflammten. Wenn es einem Reisenden gestattet ist, von seinen Empfindungen zu sprechen, so möchte ich sagen, dass ich in dieser Nacht einen der Träume meiner frühesten Jugend in Erfüllung gehen sah. Solche oder ähnliche Worte hatte Baron von Humboldt in seinem Buch gebraucht, und Janna fühlte sich auf eine unerklärliche Weise ebenso inmitten eines Traumes. Sie versuchte sich vorzustellen, Arturo säße dort am knisternden Lagerfeuer. Je länger sie in den Himmel starrte, desto leichter fiel es ihr. Deshalb gefiel ihr dieses karge Leben. Während ihrer Zeit im Haus des Gouverneurs war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie es vermisst hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit, so glaubte sie, würde es ihr gelingen, mit einem Gefühl der Zufriedenheit im Bauch einzuschlafen – nicht mit Tränen, wie sonst.
Sie umarmte sich, suchte in sich die Erinnerung an
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