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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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gewaltsam umarmt hatte und ihr Gold wollte … Ihre Hand zuckte, wollte sich auf ihre Brust legen, wo es noch immer mehr schlecht als recht verwahrt war; doch es gelang ihr, die verräterische Handbewegung nicht zu tun. Was war an ihm anders? Er sah übernächtigt aus, ja, und sein Haar war zerzaust. Richtig zerzaust, nicht mit Bedacht wie seine Sturmfrisur, auf die er immer so viel Zeit verwendet hatte. Er trug sein Lieblingshemd, doch ohne angeknöpften Stehkragen und Halstuch … Jetzt fiel es ihr auf: Er war unrasiert. Hatte sie ihn je bartstoppelig gesehen? Sie konnte sich nicht erinnern. Diese Blöße hätte er sich früher niemals gegeben.
    «Komm, Lucila.» Sie stieg auf den Hackklotz.
    «Das Mädchen bleibt hier.»
    «Sie muss zum Arzt. Lucila – komm jetzt!»
    Janna stellte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich hoch. Das Kleid rutschte ihr bis über die Waden; Reinmars Blick glitt flüchtig an ihren Unterschenkeln hinunter und wieder herauf. Er schien sich zu fragen, was in sie gefahren war. Lucila löste sich von der Stallwand, kletterte auf den Klotz und hinter ihr aufs Pferd. Janna drückte mit den Schenkeln und schnalzte mit der Zunge; langsam trottete die Stute aus der Box, vorbei an Reinmar, der müde das Gewehr sinken ließ. Lucilas Stöhnen gemahnte sie zum langsamen Schritt, wenngleich sie liebend gerne losgeprescht wäre.

    Dieses Mal war sie klüger und gab dem Wirt der Taverne, wo sie das Pferd festband, einen Real. Allerdings erst, nachdem ihr Lucila beim Herunterhandeln geholfen hatte, andernfalls wäre sie das Achtfache, ihren letzten Piaster, losgeworden. Bis zur Praxis von Doctor Cañellas waren es nur noch ein paar Schritte.
    Erst auf Jannas drittes Klopfen hin öffnete eine alte, in Schwarz gehüllte Frau, die ihr kaum bis zur Brust reichte und ein greinendes Kind auf dem Arm trug.
    «Der Doctor hat keine Zeit zum Öffnen», nuschelte sie mit zahnlosem Mund und musterte die beiden Neuankömmlinge von oben bis unten, als frage sie sich, ob sie es wagen konnte, sie einzulassen. Janna sah fünf oder sechs Leute auf Bänken herumsitzen; die meisten waren Mütter mit schlafenden oder weinenden Kindern auf dem Schoß. Zu ihren Füßen hatten sie Körbe mit Gemüse und sogar einen Schilfrohrkäfig mit einem mageren Huhn.
    «Hinein mit dir», Janna schob die sich sträubende Lucila durch die Tür.
    «Ich kann den Doctor doch nicht bezahlen!» Fast schien es, als wolle Lucila in Tränen ausbrechen. Von einer Rebellenheldin, oder was immer sie sich zu werden erträumt hatte, war sie weit entfernt.
    «Sag ihm einen netten Gruß und dass ich das später regeln werde. Ich komme bald wieder.»
    Janna drückte sie kurz an sich, schob sie ins Innere und zog die Tür zu; dann machte sie sich auf den Weg zur Plaza Major. Hier weilte, so Gott wollte, der einzige Mann, der Arturo helfen konnte.
    Oben auf El Zamuro wehte die venezolanische Flagge, und das Läuten der Schneejungfrau schien einen sonnigen, friedfertigen Nachmittag zu versprechen. Hier und da hörte Janna, wie man sich über die nächtliche Fiesta unterhielt. Offenbar hatte es kurz vor dem Morgengrauen ein prächtiges Feuerwerk gegeben, das man unbedingt gesehen haben musste. Der neue Gouverneur ließ sich nicht lumpen. Niemand dieser Leute, die an ihr vorüberkamen, konnte ahnen, dass sie ein Feuerwerk ganz anderer Art erlebt hatte. Sie musste an Entrerríos und Romina denken, und ihr wurde das Herz schwer.
    Doch dafür blieb keine Zeit. Sie kramte in ihrem Réticule – ein Piaster, fünf Reales. Für Cañellas’ Dienste würde es vielleicht noch genügen, doch danach wäre sie bettelarm. Der Rest würde nicht einmal mehr für einen Brief an den Vater reichen, in dem sie ihm alles erklären und ihn um Geld bitten konnte.
    Aber dieses Problem war jetzt nicht wichtig. Erst musste sie Arturo helfen. Falls es Arturo war. Noch immer erlaubte sie sich nicht, daran zu glauben. Es war so unwahrscheinlich, dass er lebte, und doch, sie musste, musste es versuchen …
    Trotz Siesta-Zeit war die Plaza voller Leute. Sie hatten sich rund um die Seitenwand der Kirche versammelt. Eine Militärtrommel kündigte etwas an, das Janna bereits gesehen hatte und um nichts auf der Welt noch einmal sehen wollte. Die Bajonette des Erschießungspelotons tanzten gut poliert über den Köpfen der Angosturer. Janna versuchte nichts davon zu sehen und zu hören, dennoch entging ihr der in ein weißes Hemd gekleidete Delinquent nicht, denn er stand erhöht

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