An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
aufgeknöpften Pantalons vor Romina stand. «Binden Sie sie bitte los, Señor.» Ihn höflich zu ersuchen war vielleicht das Absurdeste an dieser Situation. Unschwer konnte der Mann erkennen, dass sie mit dieser Waffe nicht umzugehen verstand. Zumal sie gar nicht auf ihn schießen konnte, da sie damit rechnen musste, statt seiner die Llanera zu treffen. Sie wusste, dass der Rückstoß selbst einer kräftigen Männerhand zu schaffen machte und sie vermutlich umwerfen würde, und das wusste der Mann zweifellos auch. Trotz allem war er so verblüfft, dass er ein kleines Messer aus der Tasche zog und den Lederriemen zwischen Rominas Handgelenken durchschnitt.
Sofort zerrte sie die Beinkleider hoch. Noch blieb sie auf den Knien, wohl um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch sie blickte über die Schulter – an ihrer Lippe klebte Blut, und in den schwarzen Augen loderte die Gier, die Zähne in die Kehle eines Mannes zu schlagen.
«Señora, händigen Sie mir die Pistole aus. Ansonsten …» Der mit dem Bajonett kam auf sie zu.
«Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir nicht drohen würden, Señor», erwiderte Janna. Die Höflichkeit half ihr, nicht überzuschnappen. Nur, was sollte sie jetzt tun, selbst wenn der Mann ihr nicht die Waffe entreißen würde, was er zweifellos plante?
«Ich heiße Janna Sievers», wiederholte sie und fügte hinzu: «Aus Deutschland. Wo auch Baron von Humboldt herkommt.» Irgendwie hoffte sie, er möge jetzt wie Bolívar reagieren. Ach, Humboldt. Ich kenne ihn. Selbstverständlich können Sie gehen .
Aber so viel Glück konnte man nicht immer haben, und diesem Mann schien der Name nichts zu sagen. Ihr hoheitsvolles Gebaren wirkte nicht länger. «Na, komm schon, catira », er streckte eine Hand aus, wie man sich einem verschreckten Tier nähert, das man zu erschlagen gedenkt.
«Bleiben Sie, wo Sie sind.» Sie verfluchte sich, dass sie es nicht schaffte, ihre Stimme sowie ihren Griff um die Waffe zu festigen. Noch einen Schritt, und sie würde zittern wie ein Palmwedel im Tropengewitter.
«Weib, du kannst nicht …»
«Diego, lass sie in Ruhe», rief einer der Soldaten, die sich über Romina hatten hermachen wollen. «An der verbrennen wir uns die Finger.»
Mit einem gewaltigen Aufschrei sprang Romina hoch, stürzte auf Janna zu und riss ihr die Pistole aus der Hand. Auf den Stiefelabsätzen drehte sie sich in Richtung des Mannes namens Diego und zielte auf ihn. Der andere hatte ihr nachgesetzt und schlug ihr seinen Ladestock in die Kniekehlen. Sie sackte hin, warf sich aber im Fallen herum und hieb ihm den Pistolenlauf ins Gesicht. Vor Wut brüllend schlug er nach ihr.
Irgendeiner – Janna hätte nicht sagen können, ob es Diego war – warf sich auf sie, sodass sie rücklings in den Schmutz fiel, und packte mit beiden Händen den Ausschnittsaum ihres Kleides. Sie wusste nicht, was sie mehr entsetzte: dass er gleich ihre Brüste entblößen oder den Schmuck finden würde. Doch jemand packte ihn am Uniformkragen.
«Hör auf damit, du Narr! Das ist kein Pardo-Flittchen, begreif’s doch. Willst du ihretwegen hingerichtet werden?»
Es entspann sich ein Disput, inwiefern das Schänden einer Europäerin ein größeres Wagnis darstelle als das eines bunten Rindes , da doch in beiden Fällen kein Kläger anwesend sei. Janna setzte sich auf und betastete ihr Kleid. Die bestickte Ausschnittborte hatte dem Angriff standgehalten.
«Lauf schon.»
Es war Romina, die plötzlich auf den Fersen neben ihr kauerte. Von nahem betrachtet, sah sie übel zugerichtet aus. Eines ihrer Augen war blau und geschwollen. An ihrem Kinn klebte Blut, und es sah aus, als fehlte ihr ein Schneidezahn.
«Nur mit Ihnen», sagte Janna.
Die Llanera verdrehte die Augen über so viel Dummheit. « Catira . Mich haben sie schon getötet.» Sie ergriff Jannas Hand und drückte sie mit aller Kraft. «Der Mann in der Festung … der, der einen Kakao umgebracht hat.» Sie schob die Finger in den rechten Stiefelschaft.
«Einen Kakao umgebracht? Ich verstehe kein Wort.»
«Genug geschwätzt, ihr da!», rief einer der Spanier. Offenbar waren sie zu einem Ergebnis gekommen. «Du», er deutete auf Janna. «Du verschwindest. Die andere wird noch gebraucht.» Anschaulich fingerte er am Hosenstall seiner verdreckten Pantalons herum.
«Du hast einen Namen gerufen, damals auf den Weiden, als ich dich traf.» Romina schien sich nicht um ihn zu scheren. Doch ihre gedämpfte Stimme wurde drängender. «Du
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