An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
empfangen.
Immerhin, der Diener ließ sie eintreten. Es ging durch breite, weiß getünchte Gänge, an deren Wänden die Flagge der Republik und die Porträts finster dreinblickender Politiker hingen. Der Patio, in den sie geführt wurde, erwies sich gottlob als freundlicher; um einen Springbrunnen gruppierten sich Bänke und sorgfältig gestutztes Gebüsch. Alles war hell und sauber; kein Laubblättchen störte. Janna wurde allein gelassen, und kurz darauf sah sie den Bediensteten die Galerie des oberen Stockwerks entlanglaufen und an eine Tür klopfen.
Eine halbe Ewigkeit geschah nichts. Eine halbe Ewigkeit, in der ihre Gedanken um Arturo kreisten. Sie starrte auf das plätschernde Wasser, wie sie es oft im Innenhof bei den Uriartes getan hatte, in der Hoffnung, es würde sie beruhigen. Mit einem Mal, ohne dass sie hätte sagen können, wie sie darauf kam, wusste sie, woher sie das Gesicht des Delinquenten kannte. Es war der general de brigada Manuel Carlos Piar Gómez, Bolívars rechte Hand. Sein Freund, hatte man von ihm gesagt.
Ein gequälter Schrei kam aus dem Zimmer. «Ich habe mein Blut vergossen!»
Janna lief unter die Galerie; ihr war danach, sich zu verbergen. Oben flog die Tür auf. Schritte ließen das Holz knarren. O nein, unter diesen Umständen wollte sie ihn nicht sehen. Aber falls dies eine Höhle des Löwen war, sollte sie froh sein, es bis hierhin geschafft zu haben. Die Schritte verklangen. Lange Zeit geschah nichts. Dann kehrten sie wieder. Über die rotbraunen Fliesen des Patio schob sich der Schatten eines Oberkörpers.
«Mademoiselle Sievers?»
Tief atmete sie ein und trat zurück ins Sonnenlicht. Oben stand niemand anderer als Simón Bolívar, die Hände, voller Sehnen und Schwielen, welche seine Kampferprobtheit verrieten, auf die schwarz lackierte Balustrade gelegt. Nach seinem Einzug in die Stadt hatte sie ihm ihren Namen genannt, und wahrhaftig, er erinnerte sich daran.
Sie schluckte. Ihr Knicks geriet umständlich. «Señor Bolívar …» Schon falsch – Exzellenz . «Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit stehle …»
Dass er von der Galerie auf sie herabblickte, erinnerte sie unangenehm daran, wie sie Reinmar im Haus des Gouverneurs empfangen hatte. Damals hatte er im Patio gestanden, und sie ahnte, wie er sich gefühlt haben musste. Mochte dieser Mann dort oben auch ihren Namen kennen und sich feiner französischer Anreden bedienen, wie er es aus Paris kannte, so hatte sie dennoch nicht den Eindruck, willkommen zu sein.
«Es geht um das Fort im Süden», versuchte sie es mit Sachlichkeit. «Leider weiß ich nicht, wie es heißt, aber …»
«La Fidelidad.»
Die Treue. Nun ja. «Ich weiß, dass de la Torre sich dort aufhält.»
«Deshalb kommen Sie?» Hatte er sich zuvor leicht vorgeneigt, so löste er jetzt die Hände und richtete sich auf. Sein Blick glitt seitwärts – er war mit den Gedanken bereits woanders. Er pflegte mehrere Briefe gleichzeitig zu diktieren, hatte sie über ihn gehört. Vielleicht dachte er in diesem Augenblick darüber nach, dass Politik keine Frauensache war. Und dass man für Zeitdiebstahl ebenfalls füsiliert werden sollte. «Amerika ist ein halber Globus, der verrückt spielt», sagte er schließlich. «Da kommt es nicht darauf an, wo sich ein geschlagener spanischer General derzeit aufhält. Mir war es wichtig, Angostura zu befreien, denn wer Angostura hat, beherrscht auch den Orinoco.»
Tatsächlich? Und da hatte es immer geheißen, Angostura sei unbedeutend.
«Dennoch danke ich Ihnen für diese Information, Mademoiselle.»
Die er längst kannte, wie sie es sich schon gedacht hatte. Das war offensichtlich.
«Exzellenz, seine Leute haben die Llaneros angegriffen und getötet, die an Ihrer Seite kämpften.»
«Das ist bedauerlich.»
«Unter ihnen war Romina, die Schwester von José Astarloa Entrerríos.»
Er erstarrte. Langsam wandte sich sein scharfgeschnittenes Gesicht ihr wieder zu. Allein der Blick dieser Augen vermochte seine Gegner zu entwaffnen, so schien es ihr. «Warten Sie, ich komme herunter.»
Einige Augenblicke später kam er durch den Schatten der Kolonnaden auf sie zu. Ein schneidig ausschreitender Mann in einer tadellos sitzenden Uniformjacke mit breitem, goldbesticktem Fasson, einem Galanteriedegen, blütenweißen Pantalons und polierten Schnallenschuhen. Sein schmales Oberlippenbärtchen und die ausgeprägten Koteletten waren mit Pomade gebändigt. An dieser Aufmachung hätte Reinmar seine wahre Freude gehabt.
Er
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