An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
verbeugte sich knapp. «Woher wissen Sie davon, Mademoiselle Sievers?»
«Ich war dort und habe es gesehen.»
Seine scharfgemeißelten Züge waren beherrscht. Nur seine fest zusammengepressten Lippen und ein zuckender Wangenmuskel verrieten seinen inneren Aufruhr. Hatte er Romina geliebt? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Bevor sich dieser Mann zum Befreier Südamerikas aufgeschwungen hatte, war er, von Haus aus schwerreich, durch die literarischen Salons europäischer Hauptstädte gereist, um die Frauen und das leichte Leben kennenzulernen. Reihenweise mussten sie ihm zu Füßen gesunken sein, wenn man den Erzählungen glauben durfte.
Vielleicht hatte er sie ja deshalb geliebt. Weil sie anders als alle Salondamen gewesen war.
Janna spürte ihre Tränen erst, als sie ihr Kinn kitzelten. Sie weinte um das furchtbare Ende der Amazone und um ihren eigenen Verlust.
«Wie ist sie gestorben?», fragte er.
«Im Kampf, stolz, ganz, wie es zu ihr gepasst hat.»
Es war ja die reine Wahrheit. Was davor geschehen war, musste er nicht wissen. Kurz schloss er die schweren Lider und machte einen schwankenden Schritt seitwärts. Seine Finger krampften sich um das goldbestickte Portepee seines Degens.
Das Schicksal Rominas war ihm in jedem Fall nicht gleichgültig. Das musste sich doch für ihre Sache nutzen lassen! Eine andere Möglichkeit sah Janna nicht. Sie musste ihr Glück versuchen, auch auf die Gefahr hin, dass er sie unverschämt finden und hinauswerfen lassen würde. «Sie müssen diese Festung erobern, Exzellenz! Die Soldaten, die Romina getötet haben, dürfen nicht ungestraft bleiben!»
Bolívar warf ihr einen prüfenden Blick zu. «Und was, Mademoiselle, verbindet Sie mit einer Llanera wie Romina? Warum ist es Ihnen so wichtig, dass sie gerächt wird? Was ist Ihr Interesse an der ganzen Sache?»
Janna schluckte. Es blieb ihr keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest einen Teil davon. «Unter den Gefangenen ist jemand … jemand, der mir viel bedeutet. Ich hatte meine ganze Hoffnung darauf gesetzt, dass Sie die Stadt erobern und befreien; doch Sie kamen zu spät, kurz zuvor wurde er in die Festung gebracht.»
«Weswegen saß er ein?»
Vor dieser Frage hatte sie sich gefürchtet. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. Musste ausgerechnet in diesem Moment aus ihr herausbrechen, dass sie fast wahnsinnig darüber wurde, ihn lebend zu wissen – vielleicht! – und trotzdem so fern, als wäre er tot? Mit all ihrer verbliebenen Kraft zwang sie sich, wieder Fassung zu erlangen. Sie versuchte sich an einer Antwort, doch sie konnte nur schlucken, wieder und wieder.
«Wir alle haben Verluste zu beklagen, Mademoiselle. Ich habe vorhin einen guten Freund in den Tod geschickt …»
Zerfahren kramte sie in ihrem Réticule nach einem Taschentuch und fand keines. Er griff in die Seitentasche seiner Jacke und reichte ihr ein sauberes, unbenutztes Tuch.
«Wieso eigentlich?», entfuhr es ihr, während sie in ihrem nassen Gesicht herumwischte.
«Insubordination.»
Verwirrt hielt sie inne und sah ihn an.
«Große Opfer sind unumgänglich – Einheit oder Tod. Er wollte ein Land namens Venezuela, ich aber will einen ganzen befreiten Kontinent mit einem Großkolumbien als dem Herzen der Welt.»
Mein Gott . Dieser Mann dachte in anderen Sphären. Beim besten Willen wusste sie nicht, mit welchen Worten sie an seine Hilfsbereitschaft appellieren sollte. Sie steckte das Taschentuch in ihr Täschchen. Ihre Finger berührten den lose in den Falten liegenden Goldschmuck. Ihr war plötzlich, als habe sie ihn eigens für diesen Augenblick aufbewahrt. Er gehörte Arturo – und musste Arturo jetzt retten. Sie zog ihn heraus und streckte ihn vor.
«Dieses Gold gehörte zu dem großen Schatz, der Atahualpa retten sollte. Ich lege Ihnen ein andermal mit Freuden dar, wie ich an ihn gekommen bin. Jetzt aber, Exzellenz, bitte ich Sie einfach, es zu glauben. Helfen Sie mir, und nehmen Sie dafür dieses Gold.» Sie seufzte. «Es ist sowieso nur eine Frage der Zeit, bis ich es verliere oder mir jemand meine Handtasche stiehlt.»
Er nahm es und breitete es auf der schwieligen Handfläche aus. Sein Daumen fuhr über die Erhebungen und die Smaragde. Was in seinen Augen aufblitzte, war eindeutig die Lust, dieses Gold zu besitzen. Vielleicht, nein, hoffentlich, überlegte er bereits, ob er zu seinen aus Atahualpas Gold gefertigten Uniformknöpfen nun auch passende Sporen schmieden lassen
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