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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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dich rufen hören.» Es war eine Frage, eine Bitte: Erzähl mir alles. Seine Antwort war ein gepeinigtes Aufseufzen dicht an ihrem Ohr. Sei nicht so ungeduldig , ermahnte sie sich. Ihre Nase wurde von seinen feuchten Haaren gekitzelt, die nach Seife rochen, so wie er. Darunter erahnte sie den Duft, der ihm eigen war: nach dem Nebel auf dem Fluss, nach warmem Regen und kalten Wasserfällen, nach der ganzen urtümlichen Wildnis. Kein Gefängnis, kein Jahr vermochten das auszulöschen. Erinnerungen durchzuckten sie, betörende, gefahrvolle, schöne. Tief sog sie den Duft ein, um darin zu versinken. Fast hätte sie vergessen, wo sie war. Erst sein Räuspern brachte sie auf die nächtliche Straße zurück.
    «Wo wolltest du hin?», fragte sie.
    «Nur hinaus. Ausprobieren, wie es sich frei und ohne Ketten läuft. Außerdem habe ich Hunger, und die anderen schnarchen mir zu laut.»
    «Dem Hunger kann man abhelfen.» Sie führte ihn in die Küche. Diesmal entzündete sie an der Herdglut in der Küche eine Kerze, um sich schneller zurechtzufinden. Vom Pferdeschinken war noch ein Stück da, ebenso vom Brot. Arturo entdeckte eine Flasche jamaikanischen Rum und ein kaltes Stück Cachapa, mit Ziegenkäse belegten Maispfannkuchen, den er sofort herunterschlang. Janna schlich die Treppe in ihr Zimmer hinauf, und er folgte ihr dichtauf. Es war ganz selbstverständlich, dass sie unter das Moskitonetz schlüpften und sich im Schneidersitz auf dem Bett niederließen, das Tablett mit dem Essen und der tropfenden Kerze zwischen sich. Es war nicht gerade manierlich. Arturo aß schnell.
    «Weizenbrot habe ich früher schon selten gegessen. Geschweige denn im letzten Jahr. Und dies hier …» Er goss von dem Rum in einen Becher, nahm einen Schluck und rollte ihn genüsslich auf der Zunge. Dann hielt er ihr den Becher hin. «Ich wette, die feine Dame hat noch nie Rum genossen.»
    «Von wegen. Den gibt’s bei uns daheim in den Tee. Meine Oma trinkt ihn sogar pur. Und zwar so», sie hob den Becher und sagte feierlich: «Nicht lang schnacken, Kopp in’n Nacken!»
    «Ich muss noch viel lernen über dich und dein Land. Mädchen, ich fürchte, ich habe das nicht verstanden.»
    «Wir können auch Spanisch reden.»
    «Mädchen …»
    «Nein, sag: Min Deern.» Sie kicherte.
    «Ich fürchte, dir bekommt schon ein Schluck nicht.» Er nahm ihr den Becher wieder aus der Hand.
    Nein, der eine Schluck machte ihr nichts aus. Sie war trunken vor Glück, das war alles. Deshalb war ihr danach, zu lachen und dummes Zeug zu schwätzen. «Weißt du noch … oh, ich liebe Sätze, die so beginnen … weißt du noch, wie ich dir hieraus vorgelesen habe?»
    Unter dem Kopfkissen zog sie das Buch hervor, das sie sich aus Doctor Cañellas’ bescheidener Bibliothek geliehen hatte. Irgendwo schlug sie es auf. «Die Göttliche Komödie …: ‹Als ich auf halbem Weg stand unsres Lebens, fand ich mich einst in einem dunklen Walde, weil ich vom rechten Weg verirrt mich hatte; gar hart zu sagen ist’s, wie er gewesen, der wilde Wald, so rauh und dicht verwachsen …› Siehst du, wie das passt? Weißt du, was Bibelstechen ist? Wir machen das an Silvester. Man schlägt die Bibel auf und tippt blind auf einen Vers. Vielleicht geht das ja auch hiermit? Warte …: ‹Und in der Tat fand ich mich an dem Rande der schmerzensreichen Niederung des Abgrunds, endlosen Jammers Donnertön’ umschließend …› Ach nein, das ist Tünkram. Ich glaube, mir ist etwas schwummrig.» Sie schlug das Buch zu und klopfte sich gegen die Brust, denn ein plötzlicher Schluckauf plagte sie. «Weißt du noch, wie du mich durchs Wasser gezogen hast? Das wäre mir jetzt auch lieb, denn es ist so warm. Lass uns hinunterlaufen zum Fluss. Na gut, nicht jetzt. Aber morgen! Ach, lass mich noch einmal nippen.»
    Er gab den Becher her. Ihre Zappeligkeit ließ ihn lächeln. «Ich weiß alles noch, min Deern.»
    Einen Schluck gestattete er ihr noch. Dann stellte er den Becher beiseite. Sie dachte noch, dass er kippen und die Neige das Bett nässen würde. Vielleicht tat er das auch, sie wusste es nicht. Sie sah nur noch Arturo. Seine Hände, die sich ihrem Gesicht näherten. Seine Finger, die darüberstrichen. Die Kuppe seines Zeigefingers berührte ihre Lippen, während er die andere Hand sanft unter den Stoff ihrer Chemise schob und ihre Schulter befreite.
    Sollte sie nicht zittern? Er war es, der zitterte. Zögerte, sich vortastete in unbekanntes Gelände. Sie zerrte an der Schnur ihres

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