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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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was …»
    Er legte einen Finger an die Lippen, und diese Geste erschien ihr so eindringlich, dass sie verstummte.
    «Arturo, da», wiederholte er leise und deutete schräg nach unten.
    Vorsichtig neigte sie sich nach vorne. Dort unten war jemand. Wirklich Arturo? Sie sah den Schimmer und den Rauch eines kleinen Feuers. Leiser, jaulender Gesang ertönte.
    Sie warf einen Blick zurück. Picao hatte sich in die Düsternis der Höhle zurückgezogen. Er wollte , dass sie das dort unten sah. Sie ging in die Knie und kroch auf einen Baumstamm, der quer über dem Abgrund lag. Lianen hingen von Wand zu Wand und vermittelten ihr die Sicherheit, notfalls danach greifen zu können. Langsam schob sie sich vorwärts, gerade so weit, dass sie die beiden Menschen dort unten am Feuer erkennen konnte.
    Arturo, ja. Und Oyomaco. Der dürre Leib des Häuptlings war standesgemäß bemalt. Doch diesmal mit Muschelkalkfarbe. In einer Hand hielt er eine Schale, in der anderen einen Vogelknochen. Beides reichte er Arturo. Auch er trug dicke weiße Striche auf den Schultern und der nackten Brust. Sogar der Felsboden ringsum war bemalt. Kerzen flackerten zwischen den unterbrochenen Linien. Er nahm den gabelförmigen Knochen, steckte ihn in die Schale und sog sich den Inhalt in die Nase. Die Oberkörper beider Männer schwangen leicht vor und zurück.
    Was um alles in der Welt …
    Niemals hatte Janna etwas Befremdlicheres und Angsteinflößenderes gesehen. Es war, als hätte sie ein altes Buch geöffnet. Einen Crusoe , ja. Mit der lebendig gewordenen Illustration, wie der Schiffbrüchige auf einen Baum geklettert war, um die um ein Feuer versammelten Wilden zu beobachten. Nur besaß sie kein Fernglas und keine Flinte. Das hier war kein Buch, es passierte tatsächlich.
    Die Nacht war über diese Szenerie gefallen. Es gab nur noch das Licht der Sterne und rötlichen Feuerschein, der sich auf den schweißfeuchten Körpern der Männer spiegelte. Rücklings sank Arturo auf die Kerzen; sein Leib löschte sie aus. Unwillkürlich dachte Janna an seine Brandnarben, die jetzt unter der Farbe verborgen waren. Während der Häuptling sein schauriges Lied sang, wälzte sich Arturo herum und kam schwankend hoch. Er drehte sich. War das ein Tanz? Mit einem Fuß trat er in die Glut, eindeutig absichtlich. Der andere folgte. Spürte er denn keinen Schmerz?
    Moskitos und dicke Falter verglühten knackend in den Flammen. Auch Janna sah sich von Insekten gepeinigt. Längst hatte sie gemerkt, dass die Baumrinde unter ihren Handflächen lebendig war. Die schwarzen Schatten von Fledermäusen flogen dicht an ihrem Kopf vorbei. Trotzdem vermochte sie sich nicht abzuwenden, so grausig sie dieses merkwürdige Ritual fand. An Oyomaco vorbei schritt Arturo in die Dunkelheit. Flügel flatterten. Ein ängstliches Fiepen. Ein Krächzen, das abrupt verstummte. Er wankte in den Lichtschein zurück, in einer Hand ein Federvieh, das er in die Schwärze warf. Schwer sackte er zurück ans Feuer, und als er sich vorneigte, ließen die zuckenden Flammen sein in Schweiß getauchtes Gesicht rötlich aufleuchten.
    Er entblößte die Zähne. Auch sie waren rot.
    Janna schmeckte etwas Grässliches auf der Zunge, das sie liebend gern ausgespuckt hätte. Sie wagte es nicht. Sie schluckte es herunter. Das Stechen und Jucken unter ihren Handflächen wurde unerträglich, und sie kroch zurück, ertastete Wurzeln und Lianen, an denen sie sich hochzog, und hielt nach Picao Ausschau, damit er sie zurückbrächte. Erst sah sie ihn nicht; sie glaubte sich am Ende eines bösen Traums, sodass es nicht nötig wäre, den Weg noch einmal zurückzulegen. Gleich würde sie in ihrer Hütte aufwachen – und dies alles wäre nicht geschehen. Welche andere Erklärung konnte es auch geben? Trotzdem war sie erleichtert, Picao zu sehen, wie er sich aus den tiefschwarzen Schatten der Felswand löste. Sie hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt; deutlich sah sie das Weiße seiner Augen und seine hellen Zähne, als er sprach.
    «Ist gefährlich, was Mann tut», sagte er leise. Furcht schwang in seiner gedämpften Stimme mit. «Du musst passen auf dein Seele.»
    Auf meine? Nein, auf seine , dachte sie. Offenbar hielt es der gottesfürchtige Indio für dringend geboten, dass sie Arturo klarmachte, mit welch teuflischem Feuer er da spielte. Oder besser noch, dass sie vor ihm floh. Ihr war danach, ja.
    ***
    An seiner Schläfe klebte noch ein Rest der Muschelkalkfarbe. Und ein winziges Bröckchen über der Lippe.

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