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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Janna ging am Rand der Mauer entlang und lauschte. Das kleine Haus wirkte verlassen. Sie schob sich durch eine verwilderte Hecke und stand vor zerfallenen Wänden. Hier würde sie niemand stören, höchstens das ein oder andere Getier. Laub raschelte unter ihren Schritten, als sie in den Schatten des löchrigen Daches trat. Eidechsen huschten in Mauerspalten, und das Laub bewegte sich in den Ecken. Die einzige «Einrichtung» bestand aus einem heruntergefallenen und verlassenen Vogelnest.
    Als Janna den zweiten Raum betrat, stieß sie einen leisen Schrei des Entzückens aus. Den Vogel, der aus der Badewanne hervorflatterte und durch das Dach verschwand, sah sie nur als schwarzen Schatten. Sie setzte sich auf den gerundeten Rand. Wer immer hier gewohnt hatte, hatte sich diesen Luxus gegönnt, nur um die schwere Zinkwanne bei seinem Fortgang zurücklassen zu müssen. Der Wannenboden war schmutzig und voller Laub, und sicherlich gab es hier weder Brunnen noch Eimer. Und wenn, so würde es viel zu lange dauern, die Wanne zu füllen. Trotzdem war es schön, es sich einfach vorzustellen. Bald, sehr bald, ja, heute noch würde sie tatsächlich in einer Wanne liegen. Sie würde es machen wie die berühmten Dandys in England und den Rest des Tages darin verbringen.
    Von irgendwo wehten Fetzen männlicher Stimmen heran. Lebten hier doch noch Menschen und kehrten zurück? Janna lauschte bang. Nein, es war wieder still. Sie wartete noch einige lange Minuten. Nichts. Dann zog sie sich das buntgewebte Indiokleid über den Kopf.
    Mit dem Zeigefinger strich sie über die Narbe an ihrem Unterarm. Eine ewige Erinnerung an Arturo. In ein solches Maisfeld hatte sie vor ihm flüchten wollen – und jetzt hatte sie das Gefühl, die Kraft zu besitzen, mit ihm noch bis ans Meer zu fahren.
    Sie knotete ihr Bündel auf, legte Humboldts Zettel beiseite, faltete die Chemise auseinander und schlüpfte hinein. Den Brüsten mit dem Kurzmieder wieder Halt zu geben fühlte sich ungewohnt an. Dann schüttelte sie ihr Empirekleid auseinander.
    Was war das?
    Ein goldenes Dreieck war mit einem Klacken auf den Steinboden gefallen. Janna hob es an der durchgezogenen Lederschnur hoch. Verwundert bettete sie es auf ihrer Handfläche und drehte es ins Licht eines einfallenden Sonnenstrahls.
    Es war eines der Glieder der Inkakette.
    Weshalb hatte Arturo das getan?
    … Mädchen, du weißt, warum ich dich nicht einfach gehen lassen kann: Du wirst mich ans Messer liefern. Ich werde dir einen kleinen Teil des Goldes geben. Als Entschädigung. Im Gegenzug wirst du mir versprechen, danach zu vergessen, dass es mich gibt .
    Er hatte sein Wort gehalten.
    Aber konnte sie ihres halten?
    Sie wusste nicht, wie lange sie auf dem Wannenrand saß, die Zeit und alles um sich herum vergaß und nur auf dieses Schmuckstück starrte. Ihr Kopf war leer, die Brust umso voller. Schließlich wischte sie eine Träne vom Kinn und streifte die Schnur über den Kopf. Dann folgte das Kleid, das sie im Rücken so weit schnürte, wie es ihr möglich war, das Spenzerjäckchen und die Pantoffeln. Jedes Kleidungsstück war wie ein Schritt zurück in die wirkliche Welt. Wehmütig betrachtete sie das farbenfrohe Kleid; es kam ihr bereits ein wenig fremd vor. Sie klopfte Dreck von den Lederschuhen, packte alles mitsamt dem Zettel in ihr Bündel und verließ das Häuschen.
    Jemand marschierte durchs Gras; bestimmt war er das. Sein Name lag auf ihrer Zunge.
    Das Erste, was ihr ins Auge stach, war das weiße Kreuzbandelier auf der Brust des Mannes. Dieser Anblick war ihr aus der französischen Besatzungszeit so wohlvertraut, dass sie augenblicklich kehrtmachen und weglaufen wollte. Sie mahnte sich zur Ruhe. Es war natürlich ein spanischer Soldat, der die Anhöhe heraufkam. Er trug ein gesenktes Gewehr nachlässig unter die Achsel geklemmt. Sein Kopf war bloß, seine schwarzen Haare und der lange Oberlippenbart ungepflegt. Er schnäuzte sich in zwei Finger und strich sie an der einstmals weißen Hose ab, deren Flecken verrieten, dass er das schon oft getan hatte.
    «Señora?» Überrascht grüßte er mit der Hand an der Schläfe. «Brauchen Sie Hilfe?»
    Sein Lächeln war schmierig, und seine Augen … Janna presste ihr Bündel an die Brust.
    «Danke, nein, Señor.»
    Er musterte sie von oben bis unten, bis sein Blick schließlich an ihrem Haar hängen blieb. «Von hier sind Sie jedenfalls nicht … Europa, ja?»
    «Das geht Sie nichts an, mit Verlaub.»
    Er stieß die Luft durch die Nase, ein

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