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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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mit eingebackenen Erdnüssen; aus Kokosfleisch, Sago und Honig gerollte Kugeln und natürlich Schildkröteneier. Arturo verstaute den Korb zwischen all den anderen Proviantsäcken und half ihr, in die Maria Lionza zu steigen, wo sie unter dem neugebauten Bootsdach Platz nahm. Am neuen Mast flatterte das neue Segel. Zwei Indios beugten sich vor und gaben der Piroge einen kräftigen Stoß.
    «Gottes Segen!», rief Frater Sebastián de Benaocaz, und dann riefen Mönche wie Indios durcheinander und hoben die Arme. Janna winkte, während die Piroge sich von den Menschen entfernte, die ihr und Arturo über eine so lange Zeit Gastfreundschaft gewährt hatten. Als sie sich auf der Bank drehte, sah sie ihn aufrecht am Bug stehen und das Boot mit einem langen Paddel in die Strömung bringen. Es war eine mühselige Arbeit. Doch bald schritt er über Packen und Werkzeug hinweg zu seinem alten Platz an der Ruderpinne und ergriff die Schot des Segels.

    Der Wind war auf dem Rückweg nicht sein Freund, doch es war wie von Frater Sebastián angekündigt: Die Kraft des Flusses trieb die Maria mühelos ostwärts. Arturo konnte sein Boot einfach treiben lassen; dafür erforderte das Anlegen große Aufmerksamkeit, denn am Ufer konnten unverhofft auftreibende Baumstämme zur Gefahr werden. Felsentürme oder Dörfer, die zuvor in weiter Ferne aus dem Dunst geragt hatten, spiegelten sich auf einer glatten, endlosen Wasseroberfläche. Ganze Wälder erinnerten an die durchfluteten Mangrovenküsten am Atlantik, und Flussbiegungen, die Janna an Seen hatten denken lassen, waren zu Meeren geworden. Hier und da kamen sie an einzelnen Bäumen vorbei, und es war ein eigenartiges Gefühl, zu wissen, dass sie bei der Herfahrt Inseln hatten umrunden müssen, auf denen sich solche Bäume auf den Kuppen erhoben hatten. Es waren eintönige Tage. Arturo war zu seiner alten Schweigsamkeit zurückgekehrt. Wenn Janna jeden einzelnen seiner im Wind tanzenden Zöpfe oder die Muskeln unter dem regennassen Hemd betrachtete, dachte sie an jenen Augenblick zurück, da er sie in seinen Armen sanft gewiegt hatte. Und dass vielleicht deshalb der Weg vom Heck zum Bug unüberwindbar schien.
    ***
    Janna schälte sich aus ihrer Hängematte. Im Osten schwebte ein noch schwacher Feuerball dicht über dem Horizont des Flusses. Arturo zermahlte mit zwei Steinen den letzten Rest der Kaffeebohnen, die er in einem Dorf eingehandelt hatte, zu Pulver. Weder dieses Gebräu noch das Tasajo, das sie aus einem Vorratsbeutel nahm, würde sie vermissen. Sie hockte sich auf der anderen Seite des Feuers auf die Erde, kaute auf dem ledrigen Fleischstreifen herum und lockte Pizarro mit einem saftig belaubten Zweig auf den Schoß.
    «Heute bringe ich dich ans andere Ufer», sagte Arturo, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. «Angostura liegt hinter der nächsten Flussbiegung.»
    Es wollte nicht zu ihr durchdringen. Erst als sie den ersten ungenießbaren Schluck aus dem Holzbecher nahm, den Arturo ihr reichte, dämmerte es ihr. Heute war sie zum letzten Mal von lärmenden Vögeln aus dem Schlaf gerissen worden, zum letzten Mal hatte die Morgentoilette daraus bestanden, sich mit einem Zweig die Zähne zu kratzen und einen Tausendfüßler oder eine Kakerlake aus dem Haar zu ziehen. Heute … heute … Sie musste sich mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn schlagen, um weiter vorauszudenken.
    Heute sehe ich das Haus, in dem ich leben werde. Heute sehe ich Reinmar wieder .
    Zu Beginn ihrer Odyssee hatte sie zu spüren geglaubt, dass er lebte. Wenn das nun Unsinn gewesen war?
    Ihr wurde schlecht vor Angst, Aufregung, Vorfreude – sie wusste es nicht.
    «Dann gehe ich mich jetzt umziehen.»
    «Tu das.»
    Gleichzeitig hoben sie die Köpfe, sahen sich an. So viel Unausgesprochenes schwirrte in der Luft.
    Wie viel Zeit haben wir nachher noch auf dem Fluss, wenigstens wieder den Mund aufzutun? Eine Stunde? Eine Stunde muss genügen .
    Sie schob Pizarro von sich herunter und holte ihr Bündel aus dem Boot. Dann schlug sie sich durch die Büsche. Überall war der Boden schlammig, und weiter landeinwärts stieß sie auf ein Maisfeld – beides keine geeigneten Orte, sich zu entkleiden. Sie lief an den hoch aufragenden Gräsern mit reifen Kolben entlang. Hier und da spitzte das Gold der Körner aus dem Grün. Sie entdeckte eine niedrige Feldmauer aus verwitterten Steinen, die sich im Zickzack einen Hügel hinaufwand und dahinter im Unterholz verschwand. Weiter oben war ein flaches Ziegeldach zu sehen.

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