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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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seine letzte Schlacht bei Ocumare del Tuy verloren und war nach Haiti geflohen, aber ein Schotte namens MacGregor, der von Bolívar in London angeworben worden war, hatte das versprengte Heer gesammelt und zog nun gegen die Küstenstadt Nueva Barcelona. Dank vieler Gesetzloser war die kleine Armee auf stattliche zweitausend Mann angewachsen. «Und Bolívar – der kommt natürlich wieder», donnerte der Marqués so laut und ärgerlich, dass seine Tochter verstummte.
    «Wissen Sie», sagte Doña Begoña in die kurze Stille hinein. «Anders als die Mantuanos in Caracas, die am liebsten selbst über das Land herrschen würden, sind wir hier in Angostura königstreu. Auf welcher Seite steht denn Ihr Zukünftiger?»
    Janna kaute lange an ihrem mit Cashew-Nüssen belegten Plätzchen. Ich denke doch, auf der siegreichen , wäre ihr beinahe herausgerutscht. «Ach, wir wollen eigentlich nur in Frieden leben …»
    «Heiliger Thomas!» Die Marquesa warf die Hände hoch. «Verzeihen Sie meinen Fauxpas; was fange ich denn an, über Politik zu reden? Verónica, unterhalte die Dame doch weiter!»
    Das Mädchen, das in sich zusammengesunken war, ruckte wieder hoch. «Wussten Sie schon, Doña Janna, woher der alte Mantuano-Adel seinen Namen ableitet?»
    «Bedauerlicherweise nein.»
    «Die Frauen der ersten Siedler hatten allein das Recht, mit dem manta , einem mit Gold und Silber bestickten Umhang, in die Kirche zu gehen.»
    «Ach, das ist ja interessant.» Im Rauchsalon war man ebenfalls zu einem anderen Thema übergegangen: Reinmar sprach einen Toast aus und lud die Herren zu seiner Hochzeit ein.
    «Weiter, Verónica», drängte die Marquesa. «Wir wollen die Dame nicht langweilen.»
    «Ja … also … wussten Sie schon, Doña Janna, wer einmal unser Haus mit seinem Besuch beehrte? Ihr Landsmann, der Baron von … Mamá, mir fällt sein Name nicht ein!»
    «Kind! Den kennt doch jeder!»
    «Ein Fest auf der Weide?», fragte Doctor Cañellas verblüfft.
    «Mit einem Rodeo», bestätigte Reinmar.
    Don Felipe de Uriarte lachte dröhnend. «Großartig!»
    «Verzeihen Sie, Verónica», sagte Janna. «Wer, sagten Sie, hat dieses Haus besucht?»
    «Alexander Baron von Humboldt», half die Marquesa aus.
    «Tatsächlich? Ich habe das Gefühl, er verfolgt mich auf Schritt und Tritt.»
    «Es ist wohl eher so, dass Sie ihm auf Schritt und Tritt folgen. Und dieser Mann ist immerhin hierzulande der berühmteste Europäer. Ah, ich muss natürlich Napoleon Bonaparte davon ausnehmen. Fragen Sie irgendjemanden auf der Straße; er wird den Namen kennen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn Sie ab und zu über ihn stolpern. Sie sollten Ihre Geschichte ebenfalls aufschreiben; damit könnten Sie überall auf den Salons glänzen.»
    Die Männer ließen die Gläser so laut klirren, dass die Marquesa verstummte. Beide, Mutter und Tochter, neigten sich zur Seite und starrten offenen Mundes in den Rauchsalon. Die Augen des Backfisches glänzten.
    «Starr den Herrn nicht so an», zischte die Marquesa. «Was soll denn Doña Janna denken?»
    Janna dachte, dass das Mädchen ein inneres Spiegelbild ihrer selbst war – sofern sie sich um ein paar Monate zurückversetzte. Reinmar, der Beau, der Schöne, der Blender.

3. Kapitel
    Nicht nur der Nachthimmel war anders. Solch strahlendes Blau hatte Janna daheim nie gesehen, nicht einmal in Kindertagen, als sie barfuß durchs Watt gelaufen war. Während sie auf dem Rücken der töltenden Fuchsstute fast zu schweben meinte, legte sie den Kopf in den Nacken und ließ die Sonne auf ihr Gesicht brennen. Dann meinte sie für einen kurzen Moment, zurück auf dem Fluss zu sein. Die Weizenfelder ringsum ersetzten die Wellen, wenn der Wind die Ähren zum silbrigen Schwingen und Rauschen brachte. Amerika verdankt der Alten Welt die Zivilisation, die Wissenschaften und den Weizen , hatte Humboldt in seinem Buch geschrieben. Und was verdanke ich der Neuen Welt? , fragte sie sich bitter. Dass ich heulen und schreien und zur Wilden werden möchte, die sich ihre alten Kleider am liebsten herunterreißen würde?
    Das Humboldt’sche Zitat erinnerte sie an die Frontispizzeichnung, unter der es gestanden hatte, und diese an einen in jenem Buch blätternden Arturo. Es gab nachgerade nichts, das sich nicht in irgendeiner Weise mit ihm verbinden ließe. Dort drüben, auf der Kuppe eines Hügels, die beiden Leute, die um ein Lagerfeuer saßen – erinnerten sie nicht an Arturos heimliche nächtliche Zeremonie? Alles, alles schrie

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