An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
welche statt der erhofften Münzen zumeist nur Beschimpfungen und Stockpeitschenhiebe ernteten. Überall wurde gebrüllt und gekeift und gelacht; der Lärm war so vielschichtig wie die Gerüche, die in Jannas Nase stachen. Aus dem Trubel eines Marktes wehten die Schärfe und Süße der Waren herüber, ebenso der Gestank von Fisch und Kot. Kleine Areperas, wie man die Garküchen hier nannte, dufteten nach scharfen Gewürzen und gefüllten Maismehlbrötchen.
Es war unvermeidlich, dass auch vor Jannas Fenster ein Pulk bettelnder Halbwüchsiger auftauchte. Bevor sie in ihrem Réticule nach ein paar Reales kramen konnte, waren die Jungen vor der Peitsche des Kutschers weggerannt. Sie setzte sich wieder ordentlich hin, unschlüssig, ob sie das Fenster schließen sollte, um den Gestank auszusperren, oder ob sie in dieser kleinen Kutsche dann nicht alle ersticken würden. Ihr gegenüber saß Frau Wellhorn mit verkniffenem Gesicht; sie hasste Ausflüge in diesen schrecklichen Höllenpfuhl, wie sie die Stadt nannte. Von wegen ruhig, da hat der Baron von Humboldt doch wohl gelogen! , hatte sie sich beklagt. Und Moskitos gibt’s hier auch genug! Nun, der Baron hatte sicher nicht in einer Hafenpinte gewohnt. Und wenn man eine gefährliche und äußerst strapaziöse Reise hinter sich hatte, empfand man manches anders. Geheuer war Janna dieser Trubel jedoch nicht.
Es ging einen Hang hinauf. Hier wirkte die Stadt ruhiger und vertrauter dank einiger Cafés und Geschäfte hinter den Arkaden gediegener Häuser mit kunstvollen Holzfassaden. Unter die Passanten hatten sich Mönche und Nonnen gemischt, die teils in Kontemplation versunken schwiegen oder lauthals wie Waschfrauen schwatzten. Die Kutsche gelangte auf eine gekieste, von Baumreihen beschattete und von Stadtpalais gesäumte Plaza. Janna bestaunte eine lachsfarbene Kirche mit weißen Fensterrahmen, Pfeilern und einem pittoresken achteckigen Kirchturm hinter einem Baugerüst.
«Das ist die Kathedrale Señora de las Nieves», erklärte Reinmar.
Janna riss die Augen auf. «Unserer Lieben Frau vom … Schnee?»
Er lachte. «Ich weiß auch nicht, was es damit auf sich hat. Nur dass es neuerdings eine Sondersteuer auf Zuckerrohrschnaps und Hahnenkämpfe gibt, damit sie fertiggestellt werden kann.»
Frau Wellhorn stieß ein verächtliches Schnauben aus. «Da kriegen mich keine zehn Pferde rein.»
Janna wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, einen katholischen, hierzulande vermutlich erst recht gewöhnungsbedürftigen Gottesdienst zu besuchen. Ihr genügte das stille Kämmerlein zum Gebet. «Ich werde es sicher einmal ausprobieren.»
«Du bist ja auch eine Neugiernase», schmunzelte Reinmar. «Ich als Atheist werde wohl niemals herausfinden, was dieser merkwürdige Name zu bedeuten hat.»
Die Fahrt ging vorbei an der schwerbewachten Casa de los Gobernadores und einer Halle, alles in pastellfarbenen Tönen und Weiß gehalten, was Janna an eine überdimensionierte Puppenstube denken ließ. Einige Straßen weiter hielt die Kutsche vor dem prächtigen Privathaus des Gouverneurs. Der Schlag wurde geöffnet, das Treppchen hinuntergeklappt, und Reinmar sprang hinaus und reichte ihr die Hand zum Aussteigen. Das neue Empirekleid aus zartem hellen Musselin gerafft, schritt sie an seiner Seite an vier aufmarschierten Dienern in roter Livree vorbei, die sie ins Haus geleiteten. Man könnte sich direkt wichtig vorkommen , dachte sie erstaunt und beschloss, es einfach zu genießen.
In der großen Eingangshalle voller Gobelins und barocker Sideboards dauerte es noch eine halbe Stunde, bis ihnen die Hausherrin entgegengeeilt kam, eine Bugwelle schweren Parfümdufts vor sich herschiebend. Doña Begoña umarmte Janna wie eine alte Freundin und küsste ihre Wangen. So mache man es hierzulande, sie solle sich über die ganze Gefühlsduselei nicht wundern, hatte Reinmar ihr im Vorfeld des Besuches erklärt. Janna unterdrückte den Wunsch, sich das Gesicht trockenzutupfen, und schenkte der in eine schwarze Pelisse gehüllten und mit einem Turban aufgehübschten Frau ihr bestes Lächeln. Aber das Beste war derzeit nicht gut genug, wie sie am übertrieben traurigen Gesichtsausdruck der Gouverneursgattin erkannte.
«Sie sind eine wunderhübsche Frau, Doña Janna», sagte sie, während sie Jannas Hände umfasst hielt. «Allein solches Haar, heilige Maria Mutter Gottes, wie herrlich! Aber was Sie durchgemacht haben, steht leidvoll in Ihren Augen geschrieben.»
Janna erkämpfte sich mit
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