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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Rose, wollten sie regelrecht zerdrücken.

    Mit klopfendem Herzen entfaltete Janna den Brief der Familie. Zehn engbeschriebene Seiten. Ihr liefen die Tränen beim Lesen, und eine gewellte Stelle im Papier verriet, dass auch auf der anderen Seite des Atlantiks die Augen beim Schreiben nicht trocken geblieben waren. Wir sind so glücklich zu hören, dass du lebst, und danken Gott täglich für seine Gnade  … das alte Hamburg gedieh wieder und würde sich bald stolz ‹Freie und Hansestadt› nennen. Oma Ineke erzählte lustige Döntjes vom tapsigen alten Jimmy, vor dem kein Kissen und kein Pantoffel sicher waren, und der hochnäsigen Gisela, die in den Sohn eines Handelspartners verliebt war; der Vater hingegen klagte über Sohnemann Friedhelm, der, kaum dass die furchtbare Nachricht vom Untergang der Schiffe eingetroffen war, den Entschluss gefasst habe, zur See zu fahren. Nur Grappen im Kopf, der Junge! Aber nun erzähl mal, was hast du erlebt, und wie ist es da drüben in dem fernen Land? Und Janna berichtete in ihrer Antwort vom berauschenden Erlebnis der Schildkröteneierernte, von dem mit einem Specht geschmückten Indiohäuptling, der sie zu seiner Mätresse hatte machen wollen, von der Moskitoplage und dass hier alles Criollo hieß, nicht nur der Kakao, sondern auch Pferderassen und die Nachkommen der Spanier … und das Land ist so schön, dass es einem ins Herz schneidet. Die Granitfelsen sehen aus der Ferne aus wie verfallene mittelalterliche Burgen. Im blaugrünen Wasser spiegelt sich tausendfach das Sonnenlicht, und auf den Bäumen wachsen noch hundert andere Pflanzenarten, dass man manchmal das Holz gar nicht sieht. Ich habe in einer Nacht sogar Dutzende von Sternschnuppen gesehen, und der Himmel ist nicht nur anders wegen der Sternbilder, er strahlt auch etwas aus, sodass man sofort erkennt, hier ist man ganz woanders .
    Erstaunt ließ sie den Federkiel sinken. Reinmar gegenüber waren ihre Erzählungen knapp und steif ausgefallen; sie hatte schon geglaubt, sie könne keine schönen Worte mehr finden.
    Ich liebe euch alle so sehr, dass es mir in der Brust wehtut.
    Seufzend ließ sie den Kopf auf die Arme sinken und verharrte gewiss eine Stunde so. Dann faltete sie den Brief zusammen; später würde sie ihn ins Postkörbchen tun. Als sie das Schreibzeug wegpackte, fiel ihr der Zettel des Barons von Humboldt in die Hände. Nicht einmal den hatte sie Reinmar gezeigt. Wozu auch? Sein Französisch hatte sich auch während der Besatzungszeit nicht wesentlich gebessert, und die schnelle, flache Schrift des Gelehrten war eigentlich auch eine Zumutung – das Schriftstück war nie für fremde Augen gedacht gewesen.
    Ihre tastenden Finger fanden das Inka-Dreieck. Auch dazu hatte sie nichts gesagt, obwohl es doch eine geschichtliche Sensation war. Ihre Finger schlossen sich darum. Nein, weder der Zettel noch der Schmuck waren einfache Reiseandenken. Sie waren Erinnerungen an Arturo. Deshalb konnte sie das eine nicht vorzeigen und das andere nicht tragen. Und tilgen ließen sich die Erinnerungen auch nicht. Selbst wenn sie das Gold vergraben und den Zettel verbrennen würde.
    ***
    Santo Tomé de Guayana an der Verengung – Angostura  – des Orinoco, so lautete der vollständige Name der Stadt. Janna öffnete das Kutschenfenster und streckte den Kopf hinaus. Auf den ersten Blick erschien ihr Angostura vor allem als ein Wirrwarr niedriger Lehmhäuser mit roten Ziegeldächern, über denen sich die riesigen Blätter der Morichepalmen und die schlankeren der Kokosnusspalmen reckten. Hier unten am Hafen ging es laut und dreckig zu. Johannisbrotbäume hatten ihre harten, braunen Früchte auf den Boden geworfen, wo Frauen und Kinder sie auflasen, und Hunde wühlten in den Pfützen vom letzten Regenguss nach Abfällen. Schmutzlinien an den Häusern verrieten, wie weit der Fluss es zur Hochwasserzeit schaffen konnte. Die teils bunte Tünche war abgeblättert und mit Parolen übermalt. Für Ferdinand den VII., unseren König! Das Land dem Mutterlande! Tod den Rebellen! Matrosen bevölkerten die Hafenpromenade ebenso wie Polizisten, Händler und Tavernenbesitzer, die lauthals in ihre düster wirkenden Spelunken lockten, vor deren Eingängen leichtbekleidete Frauen lungerten. Den betuchteren Leuten in ihren Kutschen und von Sklaven getragenen Sänften galt das Interesse der Händler, die in ihren Bauchläden Wunderwässerchen gegen alle Arten von Tropenfieber und bösen Miasmen anboten, und das der zerlumpten Kinder,

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