An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Janna, die das Geschehen mit großen Augen verfolgte. «Er weiß schon Bescheid. Er bietet uns an, in seinem Haus zu wohnen.»
Frau Wellhorn stieß das Hausmädchen beiseite und schwang sich hoch. «Das geht nicht! Dass Sie beide immer noch unvermählt hier leben, ist schlimm genug», sie sandte Janna einen vorwurfsvollen Blick, der an dieser einfach abprallte. «Aber der Doctor, der hat doch gar nicht so viel Platz. Am Ende hausen wir da alle in einem Zimmer?»
«Mit Ihnen in der Bettritze wäre der Schicklichkeit ja Genüge getan», brummte Reinmar leise, aber im sicheren Wissen, dass die Dame hören konnte, was sie hören wollte. Sie sackte denn auch erschrocken zurück in ihren Sessel. Was hatte er nur getan, mit diesem Drachen und einer plötzlich so gewandelten Verlobten bestraft zu werden?
Der Bote des Gouverneurs räusperte sich. «Ich war noch nicht fertig, mit Verlaub. Seine Exzellenz lässt sich bei Señora Sievers für die Unannehmlichkeiten entschuldigen und lädt sie in sein Haus ein. Sie wäre bei Doña Begoña in guten Händen. Dem Herrn würde der Sekretär der Intendanz eine Wohnung zuweisen, natürlich auf Staatskosten.»
«Ich nehme die Einladung dankend an», sagte Janna sofort.
«Liebste, es ist ja nur für kurze Zeit.» Verdammt, warum schien ihr das nichts auszumachen? «Diese … Angelegenheit ist sicher schnell beigelegt.»
Sie stemmte sich hoch und angelte umständlich nach der Krücke, die sie ins Blattwerk des Amarants gelehnt hatte. «Hör auf damit.» Ungelenk kam sie auf ihn zu, warf den Kopf zurück und funkelte ihn an. Als würde sie innerlich verbrennen , dachte er.
«Womit?», fragte er heiser.
«So zu tun, als sei ich aus Zucker und das Leben ein bunter Teller», fauchte sie ihn an. «Ich gehe jetzt packen!»
Sie fand sich nicht nur unausstehlich – sie war auch noch füllig geworden. Kakao, gutes Essen, mangelnde Bewegung; es war nicht weiter verwunderlich. Mit Grausen dachte sie daran, dass ihre Figur im Haus des Statthalters nicht besser werden und die ständige Gegenwart der Hausherrin ihre Nerven vollends ruinieren würde. Könnte sie den Krieg in Hamburg absitzen! Aber sie käme sich noch schäbiger vor, wenn sie Reinmar jetzt im Stich ließe; sie mutete ihm ohnehin genug zu. Zumal eine solche Reise nicht von heute auf morgen zu organisieren war. Bis sie in See stechen könnte, wäre diese politische Krise vielleicht schon vorbei. Frau Wellhorn zeterte, während sie ihr mit aller Gewalt das Korsett schnürte. «So geht das aber nicht weiter, Fräulein Janna. Zu viel Gewicht ist auch nicht gut für Ihren Fuß. Ich werde zukünftig auf Ihren Appetit aufpassen, meine Liebe!»
Janna seufzte. Sie sah sich schon Monate neben der schüchternen Verónica sitzen. Die eine bekäme von der Mutter auf die Finger geklopft, die andere von der Anstandsdame.
In Windeseile packte Lucila die Koffer. Mit einer Mietkutsche ging es in die Stadt. Alles geschah so schnell; für Abschiedsschmerz war keine Zeit. Am befestigten Kai entlang, an dem drei große Kriegsschiffe lagen, ging es in die Stadt. Janna hätte nicht geglaubt, dass das Gedränge am Hafen noch schlimmer als gewöhnlich sein könnte, sähe sie es nicht mit eigenen Augen. Die Menschen eilten hektisch hin und her, schleppten an Körben, trieben Maultiere und Ziegen vor sich her und keiften sich noch wütender an als sonst. Über dem Meer aus Köpfen waberte der Gestank von Schweiß und Angst. Allgegenwärtig war die spanische Gendarmerie. Einem niedergeknüppelten Mann banden zwei Polizisten die Hände auf den Rücken. Janna reckte den Kopf aus dem Kutschenfenster, um zu sehen, was mit ihm geschah, doch die Menschenmenge verschluckte ihn schnell.
«Sieh dir das nicht an, Janna.»
Reinmars Hand ruckte an ihrem Arm. Trommelwirbel erhob sich über dem Getöse. Frau Wellhorns Augen weiteten sich, als sie auf der anderen Fensterseite hinausblickte. Eine Grenadierkompanie, die Gewehre über den Schultern, drängte die Kutsche ab. Kanonendonner ließ Janna zusammenzucken. Frau Wellhorn brach in Tränen aus.
«Das kann nur ein Salutschuss gewesen sein», sagte Reinmar. Seine Stimme klang belegt. Jeder von ihnen dachte wohl das Gleiche: Jetzt ist es hier wie früher daheim .
Wahrhaftig fühlte sich Janna wie in einem Albtraum gefangen. Als liefe man schwerfällig durch einen Sumpf, und der Feind blieb einem im Nacken. Was es bedeutete, in Kriegszeiten ein Gestüt zu besitzen – darüber musste sie sich nichts vormachen. Es
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