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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stéphane Hessel
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und Ägypten haben ein ganz anderes Bild von den Menschen vermittelt als jenes, das die westlichen Medien seit 9/11 verbreitet haben. Man konnte anhand der Bilder sehen, was ist und wie die Menschen sind, die gegen ihre jeweiligen Diktatoren ankämpfen müssen. Dann wurde mit Fukushima auch unser technischerMachbarkeitswahn widerlegt. Hat der Westen ein Problem? Wie weit ist es mit der Forderung der Aufklärung, selbstkritisch mit sich selber umzugehen? Wieso muss der Westen immer wieder wachgerüttelt werden?
    S.H.: Ich denke, der Westen ist nicht mehr, was er noch vor einem Jahrzehnt gewesen ist. Wir waren es, die die Weltgeschichte bestimmten. Wenn es uns gutging, dann ging es auch der Welt gut, wenn es uns schlechtging, dann ging es auch der Welt schlecht. Das ist heute nicht mehr der Fall. Wir leben in einer Welt, in der China so wichtig geworden ist, dass man auf die Idee kam, China könnte dem angeschlagenen Europa ökonomisch helfen. Brasilien, Russland, Indien und China, die sogenannten BRIC-Länder, spielen eine immer wichtigere Rolle. Der Westen muss sich darauf vorbereiten, dass er im Konzert der großen Spieler einer unter anderen sein wird. Das bedeutet auch eine neue Perspektive für die Werte Europas und des Westens insgesamt! Seine Grundwerte wie die Menschenrechte müssen wir verteidigen können. Aber wir können dies nur dann tun, wenn wir sie mit anderen Kulturen verbinden können. Das Gute am Arabischen Frühling ist, dass er sich nicht auf eine rein islamistische Zukunft stützen, sondern den Islam mit Demokratie zusammenbringen will. Das bedeutet für uns, falls wir gut zuhören können, was sich die islamische Welt wünscht, dass wir gemeinsam den demokratischen Weg einschlagen können. Das ist natürlich das, was ich mir besonders wünsche, da ja meine persönliche Lebensgeschichte mit der Mitarbeit an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 verbunden ist. Die Menschenrechtesollen und müssen unsere Zukunft ausmachen, das ist es, was ich mir besonders erhoffe.
    R.M.: Aber das ist doch auch das Problem. Die Forderung des Westens steht, aber die Botschaft kommt beim Adressaten anders an. Lange haben einige Tonangebende im Westen gefragt, ob Islam und Demokratie überhaupt miteinander vereinbar seien. Und noch wenige Tage vor der tunesischen Revolution hieß dessen Diktator in Frankreich »Mon ami Ben Ali«, »Mein Freund Ben Ali«! Wie glaubwürdig kann der Westen angesichts einer solchen Außenpolitik für die Tunesier und für die Araber insgesamt sein?
    S.H.: Wir müssen ganz einfach von der Angst wegkommen. Wir haben in den Jahren nach 9/11 in einer Welt gelebt, in der wir vor dem Islamismus, vor al-Qaida Angst hatten. Die islamischen Länder erschienen uns gefährlich, weil wir uns sagten, dass sie sich ja al-Qaida hätten zuwenden können. Die Devise für den Westen war: »Es ist schon besser, wir haben da Tyrannen, mit denen wir uns gut verständigen können, wenn wir sie auch nicht besonders lieben. Aber besser sind sie allemal als dieser Sturm des Islamismus.« Das ist genau die fürchterliche Angst, der wir jetzt entkommen müssen, denn sie ist nicht mehr gerechtfertigt. Wir haben leider noch ein, zwei Länder, die uns Angst machen: Iran und Syrien. Doch generell gelangt diese Situation jetzt an ihr Ende. Wir müssen nun verstehen, dass die Gefahr nicht nur darin besteht, dass im Iran immer noch Khomeinis Gefolgschaft an der Macht ist, sondern auch darin, dass wir keine richtigen Beziehungen mit den islamischen Ländern haben werden,solange wir nicht akzeptieren, dass sie islamisch, aber dennoch demokratisch sein können.
    R.M.: Das Christentum war ein kultureller, aber auch ein wichtiger politischer Faktor, der während des Nationalismus im 19. Jahrhundert und später im 20. Jahrhundert zum Beispiel in Italien mit der Partei Democrazia Cristiana eine wichtige Rolle spielte. Frankreichs damaliger Außenminister Alain Juppé hat im März 2011 im Institut du monde arabe in Paris die Forderung gestellt, es sei »Zeit, einen komplexfreien Dialog mit den islamischen Strömungen zu führen«. Kommt diese Einsicht nicht viel zu spät? Einige französische Soziologen haben schon lange darauf hingewiesen und argumentiert, dass im moderaten Islam ein wirtschaftlicher Motor ähnlich dem des Protestantismus auszumachen sei, der ja nach der These Max Webers für den europäischen Kapitalismus eine große Rolle gespielt hat.
    S.H.: Also man muss da schon vorsichtig sein. Es gibt

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