An die Empoerten dieser Erde
Schmetterlingen werden können!« Wenn man sich das Bild genau vorstellt, dann kommt schon ein gewisser Enthusiasmus auf. Das bedeutet aber auch, dass wir zunächst die konkreten Probleme überwinden müssen. Als Staat allein können wir die Probleme nicht mehr lösen. Wir brauchen dafür nicht nur Europa, sondern eben eine Weltorganisation, sprich, die Vereinten Nationen!
R.M.: Sie sprachen von »Metamorphose« der Menschheit. Sie fordern in dem mit Edgar Morin kürzlich herausgegebenen Buch Wege der Hoffnung in Anspielung an die Epoche der Renaissance nicht weniger als eine »Wiedergeburt der Menschheit«, um den Problemen dieser Zeit Herr zu werden. Dabei steht eine Reform des Denkens, der Wirtschaft und der Politik, eine neue Ethik im Vordergrund. In Ihrem Buch Tous comptes faits … ou presque , auf Deutsch unter dem Titel Empörung – Meine Bilanz erschienen, formulierenSie, wie bereits erwähnt, eine Eigenkritik: »Die Empörung war eine erste Etappe, notwendig, aber ungenügend. Es braucht ein Denken, eine Perspektive, einen Willen, es anders zu machen!« Mir scheint, dass Sie sich seit Empört Euch! und Engagiert Euch! immer mehr damit beschäftigen, wie diese Forderung nach Veränderung der Welt in einer Welt wechselseitiger Abhängigkeiten – Sie nennen sie eine »interdependente Welt« – umzusetzen ist. Verändert dieser Wechsel der Perspektive auch die Stellung des empörten Menschen in der Welt?
S.H.: Die Empörung und das Engagement sind für mich sehr wichtig, denn ein Mensch wird nur dann zu einem Menschen, wenn er es
versteht, sich zu empören. Solange er das nicht tut, ist er kein voller Mensch. Aber die Empörung und das Engagement sind ja nur ein Anfang, lediglich ein
Anfang! Man lebt zunächst in einer Welt, die man nicht akzeptieren kann, weil sie nicht so ist, wie man sie sich wünscht. Es ist daher gut, dass man sich
dagegen empört. Das bedeutet aber auch, dass man dazu beitragen muss, an einer anderen Welt mitzubauen. Und diese andere Welt muss ein Resultat der
Erlebnisse aus der Zeit sein, deren Kind man ist. Man wird sich dann nicht mehr auf einzelne Sachen stürzen, sondern das große Ganze im Auge behalten
wollen. Dabei wird man auch auf das stoßen, was ich »die Schwelle« nenne. Wir leben auf der Schwelle zwischen einer alten Welt, die ein Mitgefühl noch
nicht gebraucht hat, und einer neuen Welt, die ohne Mitgefühl nicht mehr auskommt. Mitgefühl, Solidarität, das ist es, was die Welt verändert und dabei
auch unser Engagement vorwärtsbringt.
R.M.: Albert Camus hat in Der Mensch in der Revolte geschrieben: »Ich empöre mich, also sind wir.« Aber dieses »also« ist nicht nachvollziehbar. Sie führen zwischen »Ich« und »Wir« das Mitgefühl ein, denn um sich gemeinsam zu empören, braucht es auch Mitgefühl, um sich in die Situation der anderen zu versetzen. Angesichts der Krise der Menschheit genügt es also nicht, sich nur zu empören und zu engagieren, solange nicht gleichzeitig klar ist und Wert darauf gelegt wird, dass jedes Handeln in einem Kontext steht. Dieser Kontext ist Ihnen zufolge die interdependente Welt, in der alles – Mensch wie Natur – voneinander abhängig ist. Sie verlangen deshalb, dass zum bestehenden globalen Handeln auch ein globales Bewusstsein unserer wechselseitigen Abhängigkeit hinzutritt, und da spielt offenbar das Mitgefühl eine große Rolle?
S.H.: Was ich zu sagen versuche, ist Folgendes: Wenn jemand sich empören und engagieren will, dann muss er auch einen neuen Schritt machen hin zu einem neuen Denken der Welt, zu einem Weltdenken. Wir befinden uns in einer Polykrise, die uns gefangen hält und aus der wir nicht herauskommen, solange wir die Situation auf die leichte Schulter nehmen. Diese Krise ist ernst, und wir werden nur aus ihr herauskommen, wenn wir etwas Neues hineinbringen und stärken, das ich das »Mitgefühl« nenne. Menschliche Eigenschaften wie Anteilnahme, Mitleid, Einfühlungsvermögen, Verständnis – kurzum: die solidarischen Kräfte der Menschheit – sind es, die wir jetzt brauchen.
R.M.: Ein wesentliches Element dieser Reform des Denkens, des neuen Weltdenkens wäre also das Mitgefühl,das Sie vom dem, was sie als »eifersüchtiges Denken« bezeichnen, streng trennen?
S.H.: Genau. Die Menschheit hat einen langen Weg hinter sich. Er führte über die Ära des Cro-Magnon-Menschen zu uns, die wir jetzt in einer Weltgesellschaft von sieben Milliarden leben. Die Frage stellt sich in diesem
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