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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stéphane Hessel
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natürlich in allen Religionen, im Christentum, auf das Sie schon hingewiesen haben, aber auch im Islam und im Judentum extremistische Tendenzen. Die hat es immer wieder gegeben. Wir hatten immerhin die Kreuzzüge und die Inquisition, die im historischen Gedächtnis Europas fest verwurzelt sind. Aber klar ist, dass der Appell und die Sensibilität für die Menschenrechte und für Demokratie überall zunehmen, in den afrikanischen wie in den islamischen Staaten. Wir haben schließlich Indonesien und die Türkei, das sind gute Beispiele für islamische Länder, die bestrebt sind, sich demokratisch zu entwickeln. Dasist es, was wir jetzt verstehen sollten: Wir müssen die Angst vor dem Islam überwinden. Da hat Alain Juppé ganz recht, es gibt diesen Weg!
    Aber man muss auch sagen, dass der islamische Fundamentalismus sehr gefährlich werden kann, solange Armut mit im Spiel ist. Das kann dann zum Beispiel der Fall sein, wenn diese Länder verarmen und ohne wirtschaftliche Perspektiven sind. Wir haben deshalb eine große Verantwortung, aber wir sind zum Glück nicht mehr die einzigen Verantwortlichen. China und Indien sind mitverantwortlich. Und wir besitzen eine Institution, über die diese Verantwortungen gebündelt werden und zur Sprache kommen können, das sind die Vereinten Nationen. Das setzt ein Verständnis der verschiedenen Kulturen voraus und Respekt, um die Werte in Einklang zu bringen.
    R.M.: Aber das Verhalten der Industrienationen während des G8-Gipfels in Deauville im Frühjahr 2011 gegenüber Ägypten und Tunesien war beschämend. Da wurde von sehr wenig Geld geredet, von Summen, die in etwa den Militärausgaben in zwei Monaten für Irak entsprechen. Mittlerweile ist mehr Unterstützung versprochen worden, aber es fragt sich, ob die Verantwortung des Westens für diese jungen Demokratien wahrgenommen wird. Nicht mal ein Aufschub der Schuldzinsen wird in Betracht gezogen.
    S.H.: Es ist ganz klar, dass wir nach wie vor die Reichen sind. Deshalb müssten wir mit den armen Ländern kooperativere Verbindungen pflegen. Wir versprechen den Entwicklungsländern seit fünfzig Jahren Hilfe. Aber das habenwir so gesagt und dabei eigentlich nichts getan. Im Gegenteil, wir haben die Rohstoffe der jeweiligen Länder, die von internationalem Marktwert waren, noch profitabel ausgebeutet.
    Wir brauchen für die Ernährung unserer sieben Milliarden Menschen, die wir jetzt sind, mehr Mittel für die Entwicklungshilfe und Landwirtschaft als bisher geplant. Wir müssen wachsam sein und uns fragen, wie wir allen Ländern die Möglichkeit geben können, ihre Völker über ihre eigene Landwirtschaft selber zu ernähren. Diese Gedanken kommen ja in den großen internationalen Organisationen zum Vorschein, so bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen oder im Welternährungsprogramm.
    R.M.: Immanuel Kant sprach in seiner Abhandlung mit dem Titel Streit der Fakultäten vom Enthusiasmus der Völker angesichts der französischen Revolution und sah darin ein »Geschichtszeichen« für den Fortschritt der Menschheit insgesamt. Pflegen wir aber heute nicht eher eine fremdenfeindliche Kultur der Bedenken gegenüber den Völkern, die nun in Revolution sind? Brauchen wir also nicht nur Empörung, sondern auch Enthusiasmus?
    S.H.: Ja, es gibt den Enthusiasmus dieser Völker, die sich nun befreien. Man stellt, nicht wahr, sofort den Elan der Tunesier fest, wenn man ins Land geht. Auch wenn sie genau wissen, dass es nicht leicht sein wird, so haben sie doch die Hoffnung! Aber unsere Situation sieht nicht sehr hoffnungsvoll aus. Es sieht ganz danach aus, dass wir noch mehr Schwierigkeiten haben werden! Unser Lebensstilwird sich nicht verbessern können, denn wir müssen aus ökologischen Gründen, statt immer mehr zu wachsen, ökonomisch schrumpfen. So etwas stimmt uns offenbar nicht sehr enthusiastisch. Aber wenn auch kein revolutionärer Enthusiasmus aufkommen wird, so hoffe ich doch, dass meine Bücher das Gemüt der Menschen, die Großzügigkeit, die Liebe und den Respekt für andere, auch die Begeisterung für die Kunst und Dichtung ansprechen und stärken werden! Denn dann wären wir wieder Menschen, die nicht nur Angst davor haben, dass es ihren Kindern morgen nicht so gutgehen wird wie ihnen, sondern die sich auch eine neue Welt wünschen, zu der sie sich auf den Weg machen könnten. Mein Freund Edgar Morin hat so schön gesagt: »Wir sind vielleicht Raupen, die durch eine Metamorphose zu

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