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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stéphane Hessel
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Zusammenhang: Ist die derzeitige Weltgesellschaft auf dem Weg, sich selber zu zerstören? Die Antwort ist: Ja, vieles spricht dafür, gerade weil wir nicht genug Mitgefühl zeigen, sondern, im Gegenteil, eifersüchtig denken und eifersüchtige Wesen geworden sind. Unser Materialismus will immer mehr, und unsere Technik breitet sich immer weiter aus. Es sieht heute so aus, dass wir dabei sind, uns – nach diesem langen Weg von ein paar Millionen Menschen hin zu sieben Milliarden Weltbürgern – zu zerstören. Die Notwendigkeit einer Reform drängt sich also auf, sie ist zwingend geworden! Die Menschheit hat die Natur und unseresgleichen so ausgebeutet, dass man davon ausgehen muss, dass es bald aus ist, falls wir nicht mit aller Entschiedenheit den Kurs ändern!
    R.M.: Deshalb brauchen wir ein solidarisches Mitgefühl für uns selber als Menschen, aber auch für die Natur. Was aber verbinden Sie alles mit dem Wort »Mitgefühl«, sie sprechen ja von einem Konzept?
    S.H.: Also, das sogenannte Mitgefühl, auf Französisch »compassion«…
    R.M.: Auf Französisch kommt das Wort ja leidenschaftlicher daher …
    S.H.: Oui, eine Leidenschaft! Es ist stärker als Sympathie, und es kann auch das Mitleid umfassen, es ist aber weniger herablassend. Wir Menschen leiden miteinander. Wir leiden unter dem, was uns fehlt oder uns nicht genügt, aber wir leiden auch unter dem, was den anderen fehlt oder ihnen nicht genügt. Das zeigt uns die Notwendigkeit an, über das gewählte Ziel hinauszudenken. Mitgefühl ist für mich ein Gefühl, das sich nicht zufriedengibt, das revoltiert und helfen will. Im Mitfühlen versetze ich mich in den anderen, in sein Leid und Glück, und solidarisiere mich mit ihm.
    R.M.: Sie betonen immer wieder, dass alles Sein im Dialog ist, eine Rede, die mich an die Philosophie eines Martin Buber 30 oder Emmanuel Levinas 31 erinnert. Der Dialog geschieht also auch über das Mitgefühl?
    S.H.: Richtig. Das »Mit« in Mitgefühl signalisiert, dass wir immer schon mit allem in Beziehung stehen, noch bevor wir uns
     diesem oder jenem zuwenden. Seit gut fünfzig Jahren haben wir nun verstanden, dass unsere Art und Weise, mit der Welt umzugehen, sehr gefährlich geworden
     ist. In Ansätzen haben sowohl die Anthropologie als auch die Ökologie ein neues Denken geliefert, aber dieses Denken bedarf einer grundlegenden
     Vertiefung. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass wir eben mehrere Arten undWeisen haben, uns mit anderen zu verständigen. Wir haben Vernunft und Verstand, die brauchen wir! Aber wir haben auch Herz und Gefühl. Unser Gefühl setzt sich aus fünf Sinneserfahrungen zusammen. Wir haben fünf Sinne, das ist ja nicht neu, und über diese gewinnen wir einen übergeordneten, deutenden Sinn, den ich, inspiriert von der Philosophie eines Merleau-Ponty 32 und Emmanuel Levinas, als »Mitgefühl« stark machen möchte. Das Mitgefühl verstehe ich als Basis eines neuen politischen Zusammenlebens. Es liefert die notwendigen solidarischen Beziehungen, um eine Weltgesellschaft etablieren zu können!
    R.M.: Sie erwähnen die französischen Philosophen Merleau-Ponty und Emmanuel Levinas, die jeder auf seine Weise das traditionelle Denken von Subjekt da und Objekt dort, also die Zweiteilung der Welt, in Frage stellten. Das bringt mich zu einem weiteren Baustein der gewünschten Reform des Denkens. Sie erwähnen ja selber mit Blick auf die westliche Philosophie, dass sie eigentlich mehr analytisch statt synthetisch vorgeht, und stellen das als ein Grundproblem dar.
    S.H.: Ja, weil genau diese Zweiteilung in »Ich« und »Nicht-Ich«, in Mensch hier und Natur dort, die wie ein Leitmotiv durch
     das westliche Denken geht, zu ebendieser Krise der Menschheit geführt hat, weil sie die Tatsache, dass alles in einem Dialog steht, nicht wahrgenommen
     hat. Das Wort »Umwelt« deutet doch Dialog an. Hinzu kommt,dass wir im Westen christlich geprägt sind. Und da befiehlt die Religion den Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Dieser Art zu denken muss man entkommen, denn sie führt direkt in die Zerstörung.
    R.M.: Sie sprechen vom westlichen Denken als einem Problem und schlagen zur Lösung andere Modelle des Denkens vor.
    S.H.: Ja, zur Erneuerung des Denkens können wir auf die Erfahrungen anderer Denkkulturen zurückgreifen. Wir haben in der ganzen langen Geschichte des menschlichen Denkens immer wieder Schwellen von historischer Wichtigkeit überwunden, und eine davon ist bekanntlich die Renaissance. Wenn man

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