An die Empoerten dieser Erde
wieder von Islamophobie spricht. Nehmen wir die Schweiz zum Beispiel, wo auf Wahlplakaten Minarette zu Raketen erklärt wurden, nehmen wir Dänemark, wo der Islam karikiert wurde. Es gibt unendlich viele andere Beispiele. Gibt es Ähnlichkeiten? Was denken Sie davon, sind Sie alarmiert?
S.H.: O ja, alarmiert bin ich sehr über dieses Aufkommen von Nationalismus, von Islamophobie und vielleicht morgen auch von Antisemitismus. Solche Verhaltensweisen sind in unserer Menschheit immer vorhanden. Wer ist schuld daran? Vielleicht ist es das Erziehungswesen unserer Gesellschaften der letzten Jahre. Es wurde zu viel Gewicht darauf gelegt, dass man der Bessere und der Stärkere ist, dass man sich gegen die anderen behaupten muss.
Ich spreche immer vom »Gemüt des Menschen«, und es gibt ein egozentrisches Gemüt, das gerade in den letzten Jahrzehnten Aufwind bekommen hat. Die Konkurrenz in der Wirtschaft ist sehr wichtig geworden. Alle jungen Menschen sagen sich, sobald sie aus der Schule kommen, dass sie die beste Beschäftigung bekommen müssen, denn sonst fühlen sie sich nicht mehr nützlich. Eine Beschäftigung, das braucht man, aber dasPrivatleben und die Erschaffung von Kunst und Kultur haben an Bedeutung verloren. Wir müssen daran arbeiten, wenn wir das erreichen wollen, was sich so ausgezeichnete Pädagogen wie Janusz Korczak 25 oder andere gedacht haben, nämlich eine neue Form der Erziehung des Menschen. Wir können die nächste Generation – die meiner fünf Urenkel, die jetzt sieben, sechs, fünf, vier und drei sind, na gut … – wir können also ihre Erziehung und die Gesellschaft zu einem Gemüt hinführen, das von Brüderlichkeit und nicht von Konkurrenz geprägt ist. Die Frage ans Publikum sei gestellt: Ist das möglich, oder ist das die schlechteste aller Utopien? Also Vorsicht, bitte, meine Damen und Herren!
A.M.: Wir haben noch eine letzte Frage.
Frage aus dem Publikum: Sie haben sich über die Machenschaften der Finanzwirtschaft empört. Wenn man nun wie Sie davon ausgeht, dass die Probleme nicht mehr nur auf nationaler Ebene gelöst werden können, so möchte ich die Frage stellen, wie Sie sich eine transnationale Zusammenarbeit vorstellen und wie man sich als Einzelner da einbringen könnte. Sie haben ja Wert darauf gelegt, dass man sich in die Politik einbringt.
S.H.: Ja, Sie haben ganz recht, diese Probleme können nur weltweit gelöst werden. In diesem Zusammenhangstellt sich die Frage: Haben wir denn die nötigen Instrumente dafür? Ich sage: Ja, wir haben sie! Wir haben nicht nur die sogenannte Welthandelsorganisation, wir haben auch ein UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte, wir haben den Internationalen Währungsfonds, und wir haben eine Weltbank. Diese verschiedenen Organisationen und Instrumente könnten Lösungen bereitstellen, wenn die wichtigsten Staaten sich zusammentun würden.
Um aus der derzeitigen Krise herauszukommen, müssten sie sich eingestehen, dass weltweite Anstrengungen und neue internationale Bestimmungen notwendig wären. Sie könnten eine globale Harmonisierung der Weltwirtschaft bewirken! Heute aber läuft es auf eine Prekarisierung weiter Teile der Welt hinaus. Gewaltige Unterschiede werden aufgebaut, die es unmöglich machen, dass alle gemeinsam vorwärtskommen. Das Bedürfnis nach einer weltweiten Harmonisierung der Wirtschaften ist allerdings bei vielen zu finden, auch bei vielen Politikern. Man darf nicht denken, dass alle Politiker nur schlecht seien, ganz im Gegenteil. Viele von ihnen sind sehr gut und möchten was dagegen tun. Aber sie können sich nicht genügend einigen, weil sie gezwungen sind, wiedergewählt zu werden, und darum zuerst an ihr Land und nicht an die anderen denken dürfen. Der französische Philosoph und Schriftsteller Montesquieu hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn ich etwas kenne, das für mich gut ist, aber für meine Familie schlecht, dann sage ich nein. Wenn ich etwas kenne, das für meine Familie gut ist, aber für mein Land schlecht, dann sage ich auch nein. Wenn ich etwas kenne, das für mein Land gut ist,aber für die Welt schlecht, dann sage ich ebenso nein. 26 Das nenne ich einen richtigen Weltbürger, wie wir ihn brauchen!
A.M.: Ich sehe, Herr Hessel, Sie könnten noch lange mit dem Publikum diskutieren. Ich glaube aber, dass wir mit dieser Botschaft, die sicherlich beim Publikum deutlich angekommen ist, nach Hause gehen können, ohne aufzuhören, weiter nachzudenken. Ich schlage vor, den letzten Satz dieses »kleinen
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