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An die Empoerten dieser Erde

An die Empoerten dieser Erde

Titel: An die Empoerten dieser Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stéphane Hessel
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Die Abhängigkeit von allem gilt natürlich insbesondere im Verhältnis der Menschen zur Natur, denn wir sind Teil der Natur!
    R.M.: Und da ist eine Gefahr versteckt, die Sie neuerdings immer wieder ansprechen. Der westliche Fokus auf das »Subjekt« hat
     uns historisch zur Formulierung der Menschenrechte geführt, aber nach dem kolossalen Triumph des Individuums über alles stellt sich die Frage, ob in den
     Menschenrechten nicht wieder nur ein Ausdruck dieser Höherstellung, dieser Suprematie des Menschen über die Natur zum Ausdruck kommt. Müsste man da nicht
     eine neue Deklaration der Menschenrechte formulieren, nicht etwa, weil die alte nicht brandaktuell wäre, sondern um sie um einen Katalog der Rechte der
     Natur zu erweitern?
    S.H.: Gott sei Dank haben wir seit der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen, der ersten Konferenz dieser Art in Stockholm 1972, einen Katalog von Forderungen, der dann vor zwanzig Jahren in Rio zur »Agenda 21« nachhaltiger Entwicklung ausgebaut wurde. Wir wissen, was wir brauchen, um der Natur ihr Recht widerfahren zu lassen. Wir wissen, wo wir sie beschützen müssen, wir wissen, dass die Ausbeutung von Rohstoffen, Energie und Wasser den Kriterien der Nachhaltigkeit genügen muss. All das sind bekannte Tatsachen und Gefahren. Wir können nicht einfach so tun, als wüssten wir heute davon nichts! In der Tat, wenn wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte um eine Allgemeine Erklärung der Rechte der Natur erweitern könnten, dann hätten wir eine wichtige Grundlage für die gesuchte Reform geschaffen.
    R.M.: Die Natur spricht ja nur »negativ«, in dem Sinn, dass sie uns klarmacht, was sie nicht duldet. Sollten wir das nicht berücksichtigen? Hans Jonas 34 hat den kategorischen Imperativ Kants dahingehend kritisiert, dass dieser die Langzeitwirkungen unseres Tuns nicht berücksichtige, und fordert deshalb eine Neuformulierung desselben. Für unsere Zeit schlägt er folgenden Imperativ vor: »Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.«
    S.H.: Ja, genau, das ist es, was wir brauchen. In diesem Zusammenhang haben wir auch einen schönen Text von Peter Sloterdijk,
     der soeben in dem Buch Le monde n’a plus de temps à perdre erschien, zu Deutsch »Die Menschheit hat keine Zeit mehr zu verlieren«, das ich mit ihm, Edgar Morin, Michel Rocard und anderen geschrieben habe. 35 Ja, unser Tun muss sich danach ausrichten, dass es nie eine Einschränkung für das zukünftige Zusammenleben der Menschen und der Natur bedeutet. Jedes Handeln muss also danach fragen, welchen Effekt es auf die zukünftige Existenz der Menschheit und der Natur hat. Aber diese Reformulierung des kategorischen Imperativs durch Hans Jonas müsste man noch ergänzen. Das hat Peter Sloterdijk getan, indem er darauf insistierte, angesichts der Irreversibilität der Naturprozesse, die wir durch unser Tun auslösen, keine weitere Zeit zu verlieren.
    R.M.: Und deshalb sind wir ja auch in einer »Zeit der Schwelle«, die nicht notwendigerweise noch oben führen muss!
    S.H.: Die Menschheit ist in der Tat noch nie so wild und so gefährlich gewesen wie seit ein paar Jahrzehnten. Das ist das
     Tragische, und das ist es, was mich immer wieder zu dem Wort »Schwelle« führt. Nicht wahr, ich habe Ihnen aufgeschrieben, 36 dass wir in der Zeit zwischen der Cro-Magnon-Ära des Menschen und heute von ungefähr 1,5 Millionen auf sieben Milliarden
     Menschen auf Erden angewachsen sind. Die Schnelligkeit, mit der wir uns gerade während des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, istauch für die Philosophie, für die Kunst und Kreativität von außerordentlicher Bedeutung. Man kann natürlich mit Blick auf Aristoteles oder Galileo Galilei oder angesichts der Erfindungen im Lauf der Industrialisierung sagen, dass wir große Etappen hinter uns gebracht haben. Nicht zu vergessen sind die Möglichkeiten, die in Zukunft die Nanotechnologien bringen könnten – Möglichkeiten, mittels derer die Menschen eigentlich selber gar nichts mehr zu tun brauchen, weil die Maschinen so ausgereift sind, dass sie selbsttätig Handlungen vollziehen können …
    Also, man denkt natürlich an Aldous Huxleys Roman Brave New World oder an George Orwells negative Utopie 1984 . Noch ist es ja, Gott sei Dank, nur eine Phantasie, aber immerhin doch eine warnende Phantasie, dass der Mensch seine Freiheit an die Maschinen abgibt und sich dabei noch sicher

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