An die Empoerten dieser Erde
glaubt. Das wäre dann die Geschichte des Menschen vom Cro-Magnon zum teletechnischen 37 Meister und Gefangenen!
R.M.: Ja, wir sind Zauberlehrlinge, und die Geister, die wir riefen, werden wir nicht so schnell wieder los. Ein deutscher Technik-Philosoph, Günther Anders 38 …
S.H.: … ja, der erste Mann von Hannah Arendt …
R.M.: … er hat in den 1950er Jahren als Erster gefordert, dass wir – sein Beispiel war die Atombombe – uns in unsere selbsterschaffene Technik und deren Langzeitwirkungen einfühlen müssten. Er sprach davon, sich »gefühlsmäßig auf etwas gefasst zu machen«. Sie sprechen ja auch davon, dass die Globalisierung einen großen Einfluss auf unser Bewusstsein hat, und auch Sie fordern Übungen der Erweiterung unseres Bewusstseins und des Mitgefühls. Wieso – um unsere Technik zu begreifen?
S.H.: Ja, genau, um mit dem Bewusstsein auf der Höhe der Zeit zu sein und um den Unterschied zwischen Effektivität und Sinn unserer Technik klarzumachen! Nanotechnologien können effektiv sein, aber auch hier müssen wir uns fragen, wo ist ihr Sinn? Kernwaffen können sehr effektiv sein, aber auch hier stellt sich die Frage, wo ist ihr Sinn? Da kommen wir folgerichtig immer wieder auf die Idee des Sinnes und der Reform und stoßen dabei auf folgende Schwierigkeit: Es ist leicht zu verstehen, weshalb eine Reform notwendig ist, weshalb sie aber möglich ist, das ist schwerer zu verstehen! Für mich hängt die Möglichkeit der Reform vom Gefühl, vom Mitgefühl ab. Darum sage ich auch, dass es keine Philosophie mehr gibt, sondern nur noch Anthropologie. Das reine Denken innerhalb der Denkmöglichkeiten ist nicht das, was wir brauchen!
R.M.: Dann lassen Sie uns also zum praktischen Denken übergehen. Für eine Weltgesellschaft brauchen wir statt des »Kampfes der Kulturen« die gegenseitige Bereicherung durch die Kulturen.
S.H.: Ja, wir haben jetzt als absolute Neuheit in der Geschichte der Menschheit die verschiedensten Kulturen und Zivilisationenin unserem globalisierten Blickfeld! Die Möglichkeit, uns auszutauschen und zu sehen, was die verschiedenen Kulturen einbringen könnten für den Aufbau einer solidarischen Weltgesellschaft, war noch nie so groß wie heute. Eine immense Freude war für mich in diesem Zusammenhang, als ich mit dem Dalai Lama 39 zusammenkam. Das halte ich für etwas sehr Wichtiges, das uns wieder mal als Menschheit im Ganzen diese notwendige Verschiedenheit des Atmens klarmacht. Wir können nicht nur innerhalb der europäischen oder westlichen Kultur Rat suchen. Da gibt es viel zu suchen, aber wir müssen auch die asiatische und die afrikanische Kultur und ihre spezifischen Antworten auf die gegenwärtigen Fragen der Menschheit berücksichtigen und diese Vielfältigkeit der Würde unterstützen.
R.M.: Sinn, Würde … Ich stelle mir da letztlich die Frage, ob man eine Kultur wie die westliche, die ihre Zukunft gar nicht garantieren kann, noch mit Recht eine »würdige« Kultur nennen kann?
S.H.: Sie steht ebenso in Frage wie die Würde aller Gesellschaften. Sie ist nicht besser und nicht schlechter, und sie hat enorme Vorteile.
R.M.: Aber ist sie möglicherweise gefährlicher?
S.H.: Das war ja der Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Wir sagten zu Beginn, dass wir noch nie so gefährlich gewesen sind
wie heute. Und natürlich sprachenwir von der westlichen Welt. Aber ich würde nicht sagen, die östlichen Kulturen sind dagegen mehr gefeit. Auch die chinesische Entwicklung kann für die Menschheit gefährlich werden, wenn es so weitergeht, nicht wahr? Gefährlich sind wir alle. Deshalb müssen wir uns fragen, was denn die Eigenheiten der verschiedenen Kulturen sind und welche Elemente einer Kultur die anderen Kulturen bereichern und als Modelle dienen könnten.
R.M.: Das Wort »Modell« verwenden Sie auch für die Pädagogik. Sie sprechen davon, dass es einen Mangel an Modellen gibt. Schon für Aristoteles war das die Krux, für das »gute Leben« braucht es Erfahrung, die aber hat die Jugend nicht, also braucht sie Erziehung und Modelle. Was bieten wir ihnen an? Wir haben ja große Stars wie Madonna oder wen auch immer. Was bieten wir der Jugend an in Konkurrenz mit diesen großen Stars?
S.H.: Leider sieht es seit zwanzig Jahren nicht mehr so aus, als wäre da jemand, an den man sich halten könnte. Aber wir
bieten ihnen das grundlegende Denken von solchen Figuren wie eben, sagen wir mal, einem Pierre Mendès-France 40 ,
Willy Brandt oder Barack Obama. Für mich
Weitere Kostenlose Bücher