An die Empoerten dieser Erde
warso eine Frau wie Mary Robinson 41 sehr wichtig. Also, man darf nicht unterschätzen, was solche Persönlichkeiten den Menschen bringen können, die sich eben dafür einsetzen, die Welt anders anzugehen und zu verändern.
R.M.: Ich komme wieder auf diese ganz einfache Auskunft von Aristoteles auf die Frage, wonach denn alles strebe, zurück. Seine Antwort war: »Das Glück.« Aber was ist das Glück von heute, was ist das gute, gelingende Leben, und was brauchen wir dazu?
S.H.: Genau in diesem Zusammenhang stoßen wir wieder auf die Worte Mitgefühl, Würde, Solidarität und Respekt füreinander. Das
Glück des Einzelnen ist nicht losgelöst vom Glück der Vielen zu suchen. Was ist für uns denn Glück? Der Mensch hat nicht nur ein Gehirn, sondern auch ein
Herz bekommen, und genau dieses müssen wir stärken. Das eifersüchtige Denken will immer mehr, es zieht den Besten und den Stärksten vor. Dagegen finden
wir in allen Religionen und in allen Philosophien vom Menschen die Wertschätzung des Mitgefühls, dieses aber wurde bisher stark unterdrückt. Ebendiese
enormen Reserven an Mitgefühl, von denen wir sprachen, müssen wir für die Reform der Menschheit mobilisieren. Kant betonte in seiner Beantwortung der
Frage »Was ist Aufklärung?« eine Reform des Denkens, er strebte keine Revolution des Denkens an. Das Gleiche gilt für mich, weil wir ja das Denken nicht neu erfinden müssen. Wir benötigen vielmehr eine Reform des Lebens und des Wirtschaftens, weil wir auf den bestehenden Errungenschaften aufbauen wollen. Glück im Angesicht dieser verschwenderischen Menschheit wäre, das wusste schon Aristoteles, Mäßigung. Aber in der Mäßigung ist nicht nur die Tatsache entscheidend, weniger Rohstoffe zu verbrauchen, sondern auch, diese mit anderen zu teilen. Da komme ich wieder auf meinen Freund, den Psychiater Bernard Corbier, zurück, der mich gelehrt hat, dass im Teilen mit anderen, im Mitgefühl für andere auch unser Glück zunimmt. Weniger kann also durchaus mehr sein!
R.M.: Wir sind heute in einer riesigen Schuldenkrise, und sie erinnert in vielem an die große Krise von 1929, die Sie selber
noch ganz jung erlebt haben. Um aus dem wirtschaftlichen Debakel herauszukommen, haben die europäischen Regierungen den Ländern ein harte Sparpolitik
auferlegt, mit dem Effekt gewaltiger sozialer Probleme und einem in der Euro-Zone stark zunehmenden Prekariat. In Griechenland und in Spanien ist jeder
zweite Jugendliche arbeitslos, und die Selbstmordrate ist drastisch angestiegen. Im Schnitt haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von etwas über zwanzig
Prozent bei einer generellen großen Arbeitslosigkeit durch alle Generationen hindurch. In den arabischen Ländern führte die hohe Jugendarbeitslosigkeit
zur Revolution. Meine Frage ist, wohin führt uns die europäische Sparpolitik?
S.H.: Ins Nichts, ins Schlimme! Darum müssen wir auch wieder aus der Politik des Sparens herausfinden, und zwar mit derselben Geschwindigkeit und derselben Entschlossenheit, wie Franklin Roosevelt 1932 den »New Deal« aufgebaut hat. 42 Wir verstehen, Gott sei Dank, heute ein bisschen mehr von der Weltwirtschaft. Wir wissen, wo es schlecht lief. Es ist deshalb höchste Zeit, politisch einen Kurswechsel zu unternehmen, den Wohlfahrtsstaat wieder zu stärken und die Ökonomie wieder in die Gesellschaft sozial einzubetten. In Frankreich ist jetzt mit François Hollande eine neue Regierung an der Macht. Diese politisch katastrophale Richtung, wie sie die Rechte in Frankreich eingeschlagen hatte – einschließlich der Rechtsextremen, die auch in Ungarn, Griechenland und leider auch in Deutschland Aufwind haben, wenn auch nicht so stark wie in Frankreich –, müssen wir korrigieren. Es ist also schon notwendig, jetzt einen Sprung vorwärts zu machen.
R.M.: Sie sagten in Zürich, dass »die neoliberale Ökonomie an ihr Ende kommt«. Sind wir also bald fertig mit der Ära Milton Friedmans?
S.H.: Ja, wir haben Milton Friedman und den neoliberalen Ideen der Chicagoer Schule zu sehr angehangen. Es ist höchste Zeit,
von diesen Ideen wegzukommen und eine Reform der Wirtschaft einzuleiten. Wir brauchen eine Umverteilung der Reichtümer. In allen Ländern gibt esMenschen, die einfach zu viel haben. Wir brauchen eine bessere Steuerpolitik. Aber es geht nicht nur um Steuern, sondern auch darum, wofür wir Geld ausgeben: für Waffen, für Drogen, für die Kernkraft und so weiter. Wir brauchen einen politischen Kurswechsel für
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