An die Empoerten dieser Erde
Aufmerksamkeit auf eine interdependente und solidarische Weltgesellschaft richten und alles daransetzen, die Grundprobleme der Menschheit so anzugehen, wie sie sich uns zeigen: als Ungerechtigkeit der Verteilung der Güter und als Ungerechtigkeit unseres Umgangs mit derNatur. Diese beiden Grundprobleme scheinen mir das Resultat einer Weltgeschichte zu sein, die man hätte studieren können und die man jetzt studieren sollte. Dabei sollte man sich fragen, was das Wesentliche ist. Ist es wirklich immer noch so wichtig zu wissen, ob Russland, China und Amerika sich verständigen können oder nicht? Nein, das ist nicht mehr so wichtig. Vordringlich ist, wie wir die Güter unserer Welt verteilen, die wir gleichzeitig nicht verschwenden sollten, denn die Zerstörung der Natur darf nicht voranschreiten. Die Grundgefahren und natürlich auch die Grundhoffnungen der Menschheit haben sich in diesem Jahrhundert stark verändert, und sie sind aus der Geschichte ebendieses Jahrhunderts entstanden. Diese kann uns offenbar zum Nachteil wie zum Vorteil gereichen.
R.M.: Bei dieser wahnsinnigen Last an Problemen und der Frage, ob wir die richtigen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden, angesichts von so viel Historie – wo bleibt die Spontaneität?
S.H.: Ich denke, wir leben heute in einer sehr viel spontaneren Welt denn je. Und in der Erkenntnis der großen Gefahren, die die Welt herausfordern. Wir sprachen über Modelle für die Jugend, wir sprachen über Probleme und wie man sie schnell lösen kann – festzustellen ist doch: Wir haben in der Geschichte Antworten gefunden. Wir haben die Demokratie als eine richtige Antwort auf die Erfahrung der Oligarchie gefunden, die wiederum eine schlechte Antwort auf die Fragen der Menschheit war! Das haben wir alles erfahren. Heute nun genügen dieseAntworten nicht mehr, wir stehen vor neuen Herausforderungen. Daher komme ich wieder auf das Wort »Reform« zurück, das für mich grundlegend ist – die »Reform der Menschheit«. Jeder, als ein bescheidenes Mitglied seiner Gesellschaft, die mit anderen Gesellschaften auf dem Weg zur Weltgesellschaft ist, kann ein kleines Stück vom Willen dieser Reform umsetzen, und zwar schon in der allernächsten Umgebung. Er braucht nicht nach New York zu gehen und sich im Sicherheitsrat zu beraten. Er kann in Paris sein und sich sagen: Hier im 14. Arrondissement, da hat es zu wenig Bäume, dagegen müssen wir was tun. Und das Tun, das an sich ja immer ganz lokal bestimmt ist, muss sich dabei über den kategorischen Imperativ verallgemeinern lassen, damit das, was man tut, vernünftig ist.
R.M.: Kurzum, jeder ist als Mitglied der Weltgesellschaft für die Welt verantwortlich. Aber dafür brauchen wir natürlich auch entsprechende Institutionen, die globale Befugnisse haben.
S.H.: In der Tat, wir müssen jetzt alles daransetzen, diejenigen Institutionen, die eine Weltgesellschaft lenken könnten, zu stärken! Um die globalen Probleme zu lösen, brauchen wir Institutionen, die globale Wirkung haben und die auch global legitimiert sind. Die Weltgesellschaft, die wir immer mehr sind, braucht ausgebaute suprastaatliche Organe, die über den nationalen Souveränitäten stehen. Deshalb müssen die Vereinten Nationen mit aller Dringlichkeit reformiert werden, und zwar dahingehend, dass man sie mit verbindlicher globaler Souveränität ausstattet.Eine Weltgesellschaft verlangt logischerweise nach einer Weltregierung! Und diese Weltregierung müssen wir jetzt mit allen Mitteln ausstatten und demokratisch einrichten.
R.M.: »Du mußt dein Leben ändern« – eine Zeile aus einem Gedicht des von Ihnen so geschätzten Dichters Rainer Maria Rilke. Du musst dein Leben ändern, das ist die große Forderung, die Sie angesichts dieser Krise der Menschheit erheben. Aber wer vom Leben spricht, spricht auch vom Tod. Ich habe den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft der Tod nicht mehr so prägend ist, obwohl er doch das Bewusstsein unserer Kreatürlichkeit schafft. Müsste man nicht wieder den Tod mehr ins Leben integrieren, ein größeres Bewusstsein für unsere eigene Kreatürlichkeit schaffen?
S.H.: Na ja, es ist eben so, die Gedanken sind frei, und sie können umherschweifen, ins Unendliche! Heutzutage muss jeder, um die Reform der Menschheit und der Welt voranzubringen, daran denken, dass er ein Schaffer, auf Französisch gesagt, ein »créateur« ist, und dass er widerstehen muss, um weiter zu schaffen, und schaffen, um weiter zu widerstehen. Das
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