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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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gesicherten Leben, stellte er nach sieben Jahren die Zahlungen ein. Missachtete und verachtete den Sohn. „Mein Selbstbewusstsein ist angeknackst“, hatte Tom schon früh notiert, „Angst, nicht akzeptiert zu werden, wie ich bin. Den Komplex verdanke ich meiner Erziehung, dem Vater.“
    Herrischer Vater, gedemütigter Sohn? Die klassische Vater-Sohn-Beziehung für die Psychologie?
    Der Vater hat ihn fertig gemacht, sagte Mikram.
    Aus enttäuschter Zuneigung?, fragte Parmenides.
    Der Tom hat gelitten, sagte Virgil aus dem Wald.
    Er wollte nicht funktionieren , sagte Lucia.
    Darüber hat er nicht gesprochen, sagte Dominik.
    Man sollte immer beide Seiten hören, sagte Roberta.
    Matthias, der Journalist und geübte Dialektiker, sagte: Ich glaube, Tom hat selbst nicht gewusst, wie das Dilemma zu lösen ist. Hat alles gegen den Vater getan und sich doch nicht von den elterlichen Erwartungen befreien können. Er wollte zeitweise an ein Ziel kommen, sonst wäre er nach Misserfolgen nicht so deprimiert gewesen. Sonst hätte er es nicht doch immer wieder versucht. Aber im Lamandergraben war eine ermahnungsfreie Zone, eine herrliche Ziel- und Zügellosigkeit. Dann die Mitarbeit in den Vereinen. Schöne Außenseiterposition. Jack Kerouac und Bob Dylan und das Ideal der never ending tour , innerlich vor allem. Andererseits war Tom ein treuer Mensch, auch in seinen Beziehungen, das Leben zu zweit hat er sehr gemocht. War ein sinnlicher Typ, hat es leicht bei den Frauen gehabt, aber seine Beziehungen waren ernst gemeint. Er hat nur nichts dafür getan. Hat keine Phantasie dafür entwickelt, dass man für eine Liebe auch etwas tun muss. Er hat sein Programm einfach weiter gelebt …
    Parmenides fragte: Welches Programm soll Tom gehabt haben?
    *
    Sie telefonierten. Einer am Weißensee, einer im Schatten des Grillparz. Sie waren verbunden. Es war noch etwas anderes, das Vater und Sohn einander näher brachte. Ludwig N. hatte die Comunità della barca zwar als Sekte abgelehnt, war aber selbst immer ein aufrechter Christ gewesen. Jetzt wurde er langsam zum Atheisten. Eine seltsame Entwicklung, die der Sohn mit Staunen verfolgte, die er dem Vater nie zugetraut hätte und die er nicht umhin konnte zu bewundern. Du bist ja der Gläubigere von uns beiden, sagte der Vater, du bist der Transzendenzler.
    Tom legte den Hörer auf. Ging in der Küche auf und ab. Goss sich Kaffee auf. War irritiert und wusste nicht, warum. Setzte sich oben im Schreibzimmer an den Computer, versuchte einen neuen Romananfang, er konnte jedoch die Bilder, die er entwarf, nicht in Worte fassen, nicht so doppeldeutig und flimmernd, wie er wollte, stand auf, spielte Dylan,
    Señor, señor, do you know where we’re heading?
    Lincoln County Road or Armageddon?
    Seems like I been down this way before
    Is there any truth in that, señor?
    … stellte die Gitarre wieder weg, ging an den Schreibtisch zurück und begann mit einigen Überlegungen über den Blues – „tiefe Traurigkeit, … Absolutsetzung des Scheiterns, der Enttäuschung, des Missachtetwerdens …“. Stand auf, holte sich eine dicke Wolljacke, er fror. „… Natürlich ist die Musik jene Kunstform, die der Erkenntnis Gottes am nächsten kommt; gute Musik bleibt immer ein Mysterium, enigmatisch, rätselhaft, das Erhabene schlechthin, vor dem ich glücksüberströmt ehrfurchtsvoll verstumme (oder mitsinge) in der Gewissheit: Ich Wurm bin da gemeint …“
    Verwarf die Notate wieder, es ging ihm nicht aus dem Kopf, was der Vater gesagt hatte, er scrollte im Computer durch die unbeantworteten Mails und entschloss sich, auf eine Nachricht von Pater Lukas einzugehen, der offensichtlich Grundsätzliches zu Toms Glaubensvorstellungen gefragt hatte:
    Lieber Lukas, Freund in meinem fluktuierenden Glaubenskrieg,
    … also, um das Ganze noch einmal aufzurollen: Ich lebe schon in einem kontinuierlichen inneren Zwiegespräch mit Gott, denn in blöden Situationen hat man immer gern jemanden zur Hand, an den man sich anlehnen kann. Aber ich befürchte, dass es ihn nicht gibt. (Hamm im „Endspiel“ Becketts, nachdem er den Versuch eines Gebetes unternommen hat: Der Schuft, er existiert gar nicht!).
    Ich wäre der Erste, der bei einer diesbezüglichen Volksabstimmung für die Existenz Gottes votieren würde. Er sollte sich bequemen, zu existieren. Eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits, ab in die Hölle mit den Bösewichten!, nichts wäre mir lieber. Ein liebender Vater, der sich immer kümmert, oh yes!

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