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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Fußballnacht und der Diskussion um das Schreiben einer Biografie in seine Dachkammer ging,
    war er verstört.
    Er war unruhig und fragte sich, warum. Denn das Gespräch mit Parmenides hatte Partikel einer Selbsterkenntnis ausgestreut, er hatte es gesucht und es war klärend gewesen. Dennoch blieb ein Gefühl von Ungenügen, einer unnennbaren Angst, die wie Fliegende Hunde mit großen Flügelschlägen durch die Nacht zog.
    Er konnte nicht schlafen. Nahm ein Buch. Besser, man blickt auf die Schlehen. Stand wieder auf. Wollte aus dem Zimmer. Wollte aus dem Bild. Dann beschloss er, nach Hause zu gehen. Vielleicht würde ihn der Weg durch die taunassen Wiesen beruhigen. Er wollte Elisa überraschen. Er hatte Sehnsucht.
    Der Lamanderbach rauschte.
    Floss wie Tag um Tag, Jahr um Jahr.
    Die Uferböschung war dicht, die vereinzelten Felsen festgefügt. Nichts deutete auf das unterirdische Drängen, das durch den Nabel ging.
    Tom sprach mit dem Bach, fragte ihn dies und das und erzählte ihm, was ihm gerade in den Sinn kam. Vor plötzlich einsetzender Liebe zu laufen anfangen … war so ein Satz, er war aus dem Gewicht der Welt . Warum wog die Welt manchmal so schwer? Die Ägypter legten ihr Herz auf die Waage, um zu prüfen, was das Leben wert gewesen war. Er nahm ein paar Steine vom Weg auf und warf sie in den Bach, einen nach dem anderen. Den letzten, runden, kleinen behielt er in der Hand. Er wärmte ihn und sagte ihm, bevor er ihn in den Bach warf, dass er nun frei sei und einer schönen Zukunft entgegentreibe, der Bach würde ihn weiter und weiter rollen, in den nächsten Fluss, und dieser ihn wiederum in den nächsten und immer so fort, bis er schließlich, kleiner und immer noch kleiner geworden, als Sandkorn ins Meer käme. Und eine Muschel würde sich um ihn schließen und er würde zu einer schimmernden Perle werden, die er, Tom, später, wenn sie in einem edlen Geschäft feilgeboten würde, kaufen, fassen, zu einem Ring verarbeiten lassen und ihn seiner Geliebten schenken würde, und so würde er ihn in anderer Gestalt immer betrachten können und so blieben sie verbunden.
    Kurz vor dem Grundstück nahm Tom eine Abkürzung, so dass er von der Rückseite her zum Haus kam. Er sah schwaches Licht in Elisas Zimmer. Das Licht war auf der Stelle ein Zeichen von Geborgenheit für ihn, dieses eine schwache Licht inmitten der Dunkelheit – … es war Weihnachten, er ging an der Hand des Großvaters nach der Christmette am Weißensee durch die Nacht, es hatte leicht zu regnen begonnen und in manchen am Seeufer verstreuten Häusern brannte noch Licht, oft nur ein einziges, erleuchtetes Fenster inmitten der Finsternis, und nichts Böses konnte ihm mehr geschehen und nichts Böses der ganzen Welt und nichts dem Jesuskind, das in der Krippe lag. Elisa ließ mitunter beim Einschlafen das Licht brennen, wenn Tom nicht zu Hause war.
    Er öffnete leise das rückwärtige Haustor, es war nie verschlossen.
    Stellte seine Schuhe unter dem Telefon neben der Küchentüre ab.
    Vermied die achte Stufe der Holztreppe, die knarrte.
    Vor plötzlich einsetzender Liebe zu laufen anfangen, eine Treppe hinauf …
    Und dann –
    Er wusste es sofort. Er kannte ihre Stimme, wenn sie liebte, den Rhythmus ihres Atems, ihre Laute, ihre Worte, ihre Wortlosigkeit. Er kannte alles. Und erkannte alles auf der Stelle. Dachte nur nüchtern: Ist Oliver da? Ich hab sein Auto nicht gesehen. Bis ihm einfiel, dass er von der Rückseite her zum Haus gekommen war.
    Versteinert blieb er stehen.
    Horchte.
    Wollte weg.
    Konnte nicht.
    Wollte, wollte weg, aber konnte nicht.
    Klopfte schließlich an, als ob er Gast wäre.
    Schaute in ihre schreckensstarren Gesichter.
    Sagte nur: Du?
    Sah Elisas Entsetzen.
    Sah sich nicht vergehen.
    Krümmte sich.
    Dann flog etwas auf in ihm.
    Auf und davon, mit den schweren Flügelschlägen der Fliegenden Hunde.
    Was zurückblieb, war eine Stimme.
    Sie sagte: Elisa.
    Elisa –
    Dann sagte die Stimme sehr ruhig:
    Bis morgen Abend möchte ich niemanden mehr von euch beiden im Haus sehen.
    Dich nicht, Reinhold.
    Und dich auch nicht, Elisa.
    Nie mehr.
    Schloss die Tür, ganz normal.
    Ging die Treppe hinunter, trat auf die achte Stufe.
    Wollte sein Auto starten.
    Dann fiel ihm ein, dass er bei Parmenides viel getrunken hatte.
    Er ging den Weg zurück, den er gekommen war.
    Der Bach war neben ihm, floss wie Tag um Tag, wie Jahr um Jahr.
    Bevor er zur Kreuzung kam, an der sich der Pfad gabelt, auf die Höhen des Grillparz führt oder tiefer

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