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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Sonntag,
    über Botanik oder EU-Richtlinien, über die Kunst der Inkunabeln, die spät entdeckte, alles fordernde Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, über diesen oder jenen Freund oder Feind und den Ruf des Vogels, eben jetzt, diesen Lockruf, und die Sonne streift das Verandabett, und dann, dieses Zueinanderdrängen inmitten der Erledigungen des Tages, der Anforderungen und ungelösten Aufgaben, oft auch mitten unter Menschen, wie das beschreiben, diesen Einfall der Lust aufeinander, ja, sie fällt ein, ergreift Besitz von allem, was man ist, von Geschlecht und Gedanken, alles ist nur mehr Wunsch, sich zu berühren, als Nachklang, als Vorspiel,
    Reinhold, warum Reinhold –
    Oliver, das hätte ich noch verstehen können, der war so smart, hatte Glamour und konnte gut blenden und sie waren oft zusammen, Aquarium der Möglichkeiten, ich war eifersüchtig und hatte vielleicht auch Grund dazu, aber Reinhold, das versteh ich nicht, dieser kleine Mann, der immer alles wusste, der so tief im banalen Siegen war, aber durchschnittlich, dieser nette adrette Reinhold –, ich wäre gern Juan de Mariana, der den Tyrannenmord erlaubt, aber Reinhold war bieder, er war kein Tyrann. Bin ich selbst einer?
    Ihre Augen.
    Diese Sekunden, die Uhren tief in uns – –
    Tom ist aus der Welt gefallen. Er möchte wieder in sie zurück, kann den Höhenunterschied nicht überbrücken und kann nicht mehr hinauf. So geht er am dunklen Grund hin und her wie in einem Keller und fängt an zu heizen, ermüdet schläft er ein und hört nur von Zeit zu Zeit das Anspringen des Brenners.
    *
    Am Morgen nach jener Nacht war Elisa vor Robertas und Parmenides’ Haus gestanden. Sie wartete, bis sie Stimmen hörte, und erzählte alles verstört und stotternd. Parmenides fuhr mit ihr in das Lamanderhaus, half ihr packen und brachte sie in die Dachkammer, die für Tom eingerichtet war. Drei Mal fuhr er in den Graben und füllte sein Auto mit Elisas Habseligkeiten. Bei der letzten Fuhre hielt ihm Tom verlegen die Türe des Wagens auf. Parmenides sah ihn nicht an, sagte dann ungewöhnlich leise, mit einem grimmigen Unterton, wie Tom ihn noch nie gehört hatte.
    Bist du verrückt geworden?
    Ich?
    Ja, du!
    Das müsstest du schon sie fragen!
    Du bist ein Idiot!
    Aber –
    Kein Aber! Elisa ist keine Schlampe, die –
    Parmenides!
    – die man einfach so hinauswirft, von einer Stunde auf die andere!
    Wenn du wüsstest, wie –
    Wenn du das nicht rückgängig machst, will ich dich nicht mehr sehen, Thomas!
    Parmenides! Du kannst doch nicht – Tom schlug die Autotüre zu.
    Doch, kann ich. Ich will dich nicht mehr sehen, heute nicht und morgen nicht und überhaupt nicht mehr!
    Dann hau ab, schrie ihm Tom nach, haut beide ab, schrie, zertrampelte die Brennnesseln um das Tretboot im Hof, riss das Kabel des alten Telefons aus dem Stecker und rannte an den Bach, über die kleine Brücke und den Böschungshang hinauf, bis er zu steil wurde und er an einer lehmigen Stelle ausglitt.
    Einmal begegnete Tom zufällig Roberta im Dorf, die immer alles verstehende Roberta. Sie verstand beide Seiten und verurteilte keine, sondern wollte helfen, redete zu, beschwichtigte, sagte die einfachsten aller Tröstungssätze, so ist das Leben, seid gescheit, es wird wieder alles gut, es muss doch wieder gut werden, ihr beide, ihr habt euch doch lieb, da muss man auch verzeihen können.
    Von Matthias erfuhr Tom einige Wochen später, dass sich Elisa und Reinhold getrennt hatten. Wer von wem, war nicht klar. Warum hat er sie nicht mitgenommen?
    Wollte sie nicht oder hat er sie nicht darum gebeten? Das Baulos Autobahn-Grillparz war beendet und geschlossen. Reinhold wurde auf eine Großbaustelle bei Nürnberg versetzt.
    Es soll schon zwei Monate so gegangen sein, sagten die Leute im Dorf.
    Im eigenen Haus!
    Die anderen, ja, die anderen wissen immer mehr. Glauben, mehr zu wissen.
    *
    Arbeit. Tun, machen, durchsetzen, organisieren, nicht denken.
    Synapsen trennen, knüpfen, lassen.
    Fug und Recht, Zunder und Zinnober.
    Zudecken mit Tun. Intensivieren.
    In GO FOR BETTER übernahm Tom so viele Aufgaben, als er nur konnte, im Verein POLIKULT ließ er sich in den Vorstand wählen, die Bürgerliste im Gemeinderat konnte verstärkt auf ihn bauen, den Umfang der Dorfzeitung weitete er aus. Er tat alles, was anstand. Gab bis spät abends Gitarrestunden und Latein-Nachhilfe, begann wieder mit den Deutsch-Kursen für Asylanten und lernte Tennisspielen. Schlief lange, plante, an der

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