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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Gras, vier, fünf panisch schreiende Amseln flogen sie an, es nützte nichts, die Krähe packte die Beute, flog auf das Dach der Scheune, der kleine Vogel flatterte immer noch, momenthaft, schwächer, die Krähe setzte ihr Tötungswerk fort, eine andere kam dazu, die erste flog mit der Beute davon, die Amseln hatten aufgegeben.
    Auf Ö1 lief ein Hörspiel – Stille konnte er nicht ertragen – in dem der Mann alles nur im Wünschen, in der Sehnsucht erleben will, es waren radikale Bilder, die Frau wünschte sich ein Kind, wartete auf der Stiege vor seiner Tür auf sein Kommen, er schickte nur den Freund mit einem Brief, fuhr nach Paris, malte ausschließlich Frauen, die ein Kind erwarteten, gebaren oder stillten, das war stark, die Musik und die Geschichte waren verrückt und er drehte ab, das hielt er nicht aus. Er lief hinauf über die Treppe mit der knarrenden achten Stufe, vergrub sich in die „Chronicles“, Bob Dylans eben erschienene unorthodoxe Autobiografie, spielte, sang, draußen flogen die Fledermäuse, baumelte die Schaukel im Wind, löste sich ein verdorrter Maiskolben von der Schnur unter dem Scheunendach.
    How many times must a man look up
    Before he can see the sky?
    Yes, ‘n’ how many ears must one man have
    Before he can hear people cry?
    Yes, ‘n’ how many deaths will it take till he knows
    That too many people have died?
    The answer, my friend, is blowin’ in the wind
    The answer is blowin’ in the wind
    Ein alter Hut. Aber keiner, der ihm derzeit besser passte. Er sollte wieder einmal ein neues Lied einstudieren. Griff durch die Seiten der Songtexte im zerfledderten Band der „Lyrics“, richtete die Verstärker aus, sang in die Mikros, nahm sich selbst auf, es war sonst niemand da. Wühlte sich ein in diese Poesie, in diese andere Radikalität, in diesen song and dance man , in diesen Zyniker, Aktivisten und Gläubigen, den Untergangspropheten und Wiederauferstandenen, den Spieler mit seinen Identitäten, der immer mehr war als er selbst, immer Stimme einer Generation und nächster Generationen, ach, was war er, kleiner Tom aus dem Lamandergraben.
    Von Zeit zu Zeit ging er zur Maria im zugigen Gang. Unverändert hielt sie die Traube und den kleinen Jesus. Stand still abseits der goldnen Pracht, einsam. Sie war nicht böse mit ihm und sie lobte ihn nicht. Sie bat ihn nichts und gab ihm keine Ratschläge. Sie stand da, blickte freundlich und unbeteiligt auf ihn herab, sie hatte noch kein Leid erlebt, sie wusste noch nicht, was ihr bevorstand. Tom erzählte ihr dies und das, aber nichts über die Zukunft ihres Kindes. Er legte ihr einen Moospolster mit kleinen, weißen Blüten vom Ufer des Lamanderbaches zu Füßen.
    Sie schaute ihn an, sie hatte wie immer ihr leicht indigniertes Lächeln im Gesicht und er sagte: Ist okay. Gute Nacht.

27
    Wie lange war es her, dass sie sich getrennt hatten? Wochen, Monate?
    Elisa hatte mehrmals versucht, mit Tom zu reden. Hatte ihn, über Roberta, angefleht, sich noch einmal zu treffen, sie wollte erklären, wollte ihm vieles sagen. Sieben Jahre –. Sie schrieb einen Brief, er kam ungeöffnet zurück. Tom lehnte jedes Gespräch ab. Dabei blieb er. Er konnte nicht verzeihen. Und hatte auch das akzeptiert: dass er es nicht konnte.
    Elisa verließ das Dorf. Sie übersiedelte nach Kolness. In der Notariatskanzlei, hieß es, hätte sie größere Aufgaben übernommen und sie würde überlegen, in einem Fernstudium Rechtswissenschaften zu inskribieren.
    Sie wäre abgemagert, sagte Roberta zu Tom, sie wäre einsilbig geworden.
    Ich male mein Leben neu, hätte sie gesagt.
    Tom suchte Robertas Nähe. Er wusste, wann sie wo mit großer Sicherheit anzutreffen war, auf dem Bauernmarkt, in der Sonntagsmesse oder bei der ersten Sitzung des Monats – nur mehr zu dieser einen Sitzung kam sie – von GO FOR BETTER. Sie war, wenn auch erfolglos, die Mittlerin zwischen ihm und Parmenides und gab ihm Nachricht von Elisa, ohne dass es schien, dass er selbst danach gefragt hätte. Sie strich ihm über den Arm. Einmal über die schwarzen Ringe unter den Augen. Er vermisste ihre Zuneigung. Vielleicht auch ihre Ringlottenmarmelade, Gemüseaufläufe und Rindsrouladen.
    Warst du bei Dr. Spindler?, fragte Roberta.
    Nächste Woche geh ich.
    Hast du einen Termin?
    Tja – –
    Das Gespräch mit Parmenides war tot. Tom ging das eine oder andere Mal am Haus vorüber, in der Hoffnung auf eine zufällige Begegnung. Ein gehetzter Blick nach rechts, durch die Scheiben des Fensters, das

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