An einem Tag im Winter
fuhr wieder an, weiter durch die Chalk Farm Road nach Belsize Park. Vor einem wuchtigen roten Klinkerbau mit herrschaftlichen Wohnungen hielt er den Wagen an. Der Regen vom Vormittag hatte groÃe Pfützen auf dem Asphalt hinterlassen.
Im Haus begrüÃte sie ein Portier und öffnete ihnen die Tür zum Aufzug. Die Wohnung befand sich in der dritten Etage. Pharoah sperrte auf, und sie traten ein.
Im Wohnzimmer nahm er Gläser aus einer Kredenz und mixte die Drinks. Der karg eingerichtete Raum wirkte sachlich: ein Bücherregal, ein Stapel Schallplatten, Architekturdrucke an den Wänden. Alles blitzblank und perfekt. Auf dem Couchtisch stand in einem glänzenden schwarzen Topf eine Pflanze mit langen, lindgrünen Blütenblättern, die sich in der polierten Tischplatte spiegelten.
»Das ist eine Orchidee«, erklärte Pharoah, der ihren Blick bemerkt hatte. »Ich weià nicht mehr, welche Sorte. Alison züchtet sie, das ist ein Hobby von ihr. Vielleicht sollte ich sie ihr zurückschicken. Ich werde nämlich von jetzt an hier wohnen. Alison will es so.«
»Ist es schlimm für dich?«
»Barton House zu verlieren, meinst du? Nein, nicht besonders.«
»Ich habe eigentlich die Scheidung gemeint. Du wirkst so, als würde sie dir zusetzen.«
»Nur wegen meiner Tochter.« Er reichte India ein Glas. »Ich möchte nicht, dass Rowena meinetwegen leidet. Einiges von der Schlammschlacht wird unweigerlich an ihr hängen bleiben. Am schlimmsten ist es für mich, dass ich sie in Zukunft weit weniger sehen werde.«
»Das tut mir leid, Marcus.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich war den ganzen Nachmittag bei meinem Anwalt. Ziemlich niederschmetternd, das Ganze. Ich hätte nicht gedacht, dass Alison so weit gehen würde. Sie möchte mich leiden sehen, und sie weià genau, was sie tun muss, um das zu erreichen.« Mit düsterem Blick sah er sie an. »Was ist los? Langweile ich dich? Ich kann mir vorstellen, dass es dir lieber wäre, ich würde dich zu einem schicken Essen einladen und dir sagen, wie schön du bist. Ich mache es wieder gut, ich versprechâs. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, bin auch ich es vielleicht müde, nur zur Unterhaltung da zu sein. Wir scheinen das ja nun schon eine ganze Weile so zu treiben.«
» So ? Wie denn?«
»Jeder spielt sein kleines Spielchen.«
»Was wäre dir lieber?«
»Etwas mehr Aufrichtigkeit zwischen uns. Du erzählst mir von deinen Leichen im Keller, und ich gebe ein paar von meinen preis.« Er lächelte trübe. »Ein Pakt unter Dieben, wenn du so willst. Eigentlich ein sehr passendes Bild, findest du nicht?«
India, der dieses Gespräch plötzlich nicht mehr geheuer war, antwortete nicht.
»Von deinem ersten Internat«, sagte er, »bist du doch wegen Diebstahls geflogen, richtig?«
Ihr stockte der Atem. Sie knallte das Glas auf den Tisch und wollte zur Tür laufen, aber er war schneller und trat ihr in den Weg.
»Du weiÃt doch«, sagte er ruhig, »ich weià gern Bescheid.«
»Lass mich gehen.«
»Es fällt mir nicht ein, dich zu verurteilen, India. Ich habe mir auch manches genommen, was ich nicht hätte nehmen sollen. Keinen SüÃkram aus dem Laden an der Ecke â GröÃeres.«
Tränen der Demütigung brannten in ihren Augen. Sie wandte sich ab und setzte sich wieder aufs Sofa. »Das ist lange her«, murmelte sie. »Es geht dich überhaupt nichts an.«
»Ich hatte eigentlich gehofft, inzwischen ginge es mich etwas an.«
Sie kramte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch. Pharoah bot ihr seins an. Sie wischte sich das Gesicht damit ab und verschmierte es mit Wimperntusche. »Du bildest dir ein, du wüsstest alles über mich«, sagte sie heftig, »aber du hast keine Ahnung. Du weiÃt gar nichts. Leute wie du haben doch keinen Schimmer.«
»Dann kläre mich auf.«
Sie schüttelte den Kopf, nahm ihre Zigaretten heraus, zündete sich eine an und ging zum Fenster, wo sie schweigend rauchte. Es war fast dunkel, und sie konnte die Scheinwerferstrahlen der Autos auf der StraÃe sehen. Sie würde weggehen, dachte sie, weit, weit weg. Doch was wäre mit Sebastian?
Sie hörte ihn sagen: »Ich werde dir erzählen, was ich schon weiÃ. Ich weiÃ, dass deine Mutter Lucinda Taylor hieà und Tänzerin war. Dein Vater, Ralph Mayhew, ist bei
Weitere Kostenlose Bücher