An einem Tag im Winter
helfen, sich ein bisschen einzurichten, und danach kommst du wieder nach London. Du wohnst dann erst mal ein, zwei Tage hier, bis ich etwas Ruhiges gefunden habe, wo du die nächsten zwei Monate unterkommen kannst. Vielleicht in einem kleinen Badeort. Ja, ich weiàâ«, Marcus hob eine Hand â, »du willst mir sagen, dass du dich dort langweilen wirst, aber wenn du bei der Wahl deiner Freunde nicht vorsichtiger sein kannst, ist das deine eigene Schuld.«
Sie fragte, was aus der Wohnung werden würde, und er sagte, er würde sie schätzen lassen und verkaufen. Tante Rachels Wohnung würde verkauft werden. Rachel, die sie gerettet hatte. Rachel, der sie am Herzen gelegen hatten.
Die Fahrt nach Devon hatte ewig gedauert, und jetzt war sie müde. Sie schaute zum Fenster hinaus in die dämmrige Landschaft mit ihren Weiden und den schmalen SträÃchen im Schatten hoher Hecken. Auf dem Bauernhof, auf dem sie Sebastian zurückgelassen hatte, gab es Wälder und Wiesen, und die Sandersons hatten sich nach Kräften bemüht, ihm den ersten Tag so angenehm wie möglich zu machen. Er würde sich hier sicher wohlfühlen, hatte Sebastian versichert, als sie voneinander Abschied nahmen. Sie hatte gewusst, dass sie mit ihm einen wichtigen Teil ihres Lebens hinter sich lieà und dass sie einander nie wieder so nahe sein würden. Sie hatte geweint und ihren Kopf an Sebastians Hals gedrückt, während er sie fest in den Armen hielt.
Jetzt, auf dem Rücksitz des Jaguars, den Blick auf Roy Gosses Hinterkopf gerichtet, dachte sie an ihr Gespräch mit Marcus am vergangenen Abend zurück. »Ich möchte ein Haus haben«, hatte sie gesagt.
»Ja, natürlich.«
»Und ein Kind.«
Er kniff die Augen zusammen. »Ich habe eigentlich keine Lust, mir das noch einmal anzutun.«
Aber für sie stand fest, wenn sie schon ihr Zuhause und Sebastian aufgeben musste, dann brauchte sie noch etwas anderes als nur Marcus Pharoah mit seinem ungeheuren Ehrgeiz und seiner Eitelkeit.
»Ich möchte etwas für mich«, sagte sie.
»Du hast doch mich.«
»Ein Kind, Marcus. Nur eins, wenn du es sagst. Aber das will ich auf jeden Fall.«
Sie waren im Wohnzimmer seiner Wohnung. Während sie auf seine Antwort wartete, hörte sie das ferne Rauschen des Verkehrs, das Läuten einer Kirchenglocke.
Endlich sagte er: »Also gut. Ein Kind, nicht mehr.«
Sie legte ihre Arme um ihn und dachte, den Kopf an seine Schulter gelehnt, an Türen in einem langen Korridor, die sich hinter ihr schlossen, vielleicht für immer.
In Glasgow hatte Ellen eine halbe Stunde Aufenthalt, bevor ihr Zug nach London abfuhr. Sie kaufte sich im Wartesaal eine Tasse Tee. Erste Reuegefühle stiegen in ihr auf, aber sie wurden, wie die Wellen von den Schieferfelsen auf Seil, von der Erinnerung an das Gespräch mit Alec auf der Terrasse zurückgeworfen. Mit der Zeit , hatte er gesagt, aber die Zeit hatte ihr nichts gebracht auÃer einer Erkenntnis: Nicht dass er seine Mutter mehr liebte als sie, seine Liebe zu ihr war einfach nicht groà genug. Mit Tränen in den Augen rührte sie ihren Tee um.
Ellen hatte Kilmory House noch vor dem Frühstück verlassen. Sie wollte Alecs Mutter nicht mehr sehen, deshalb packte sie in aller Eile und bat Alec dann, sie nach Oban zum Bahnhof zu fahren. Als er versuchte, sie aufzuhalten, erklärte sie, wenn nötig, werde sie zu Fuà nach Oban gehen. Im Wagen machte er ihr neue Vorhaltungen. Ihre Entscheidung sei überstürzt und völlig irrational. Sie sei übermüdet, sie habe nicht gut geschlafen, das habe sie selbst gesagt. Sie sollten einen Ausflug auf Festland machen, irgendwohin, wo sie in Ruhe reden und alles klären könnten. Auf der Insel könne man sich gefangen fühlen, das wisse er. Aber das sei doch kein Grund, Hals über Kopf nach London abzureisen, und schon gar kein Grund, ihre Verlobung zu lösen.
Am Autofenster flog die Landschaft vorbei, die ihr durch die Fahrten nach Seil vertraut geworden war: die überschwemmten Schieferbrüche, die Hügel, das Marschland, der Meeresarm. Es war, als liefe ihr Leben rückwärts zu einer Zeit, in der sie ihn noch nicht gekannt hatte, in der es so eintönig gewesen war wie die schwarzen Strände auf der Insel. Sie brauchte nur ein Wort zu sagen, mehr nicht, aber mit jedem Schlag ihres Herzens schien die innere Vereisung
Weitere Kostenlose Bücher