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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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wäre ihr das Herz aus dem Leib gerissen worden. Er sah müde und angestrengt aus. Bei einem mittelmäßigen Essen in einem kleinen Café am Strand versprach er ihr, seiner Mutter zu sagen, dass sie nach ihrer Heirat in London leben würden. Er werde alles tun, was sie wollte, wenn sie nur zu ihm zurückkehrte.
    Sie waren drei Wochen zusammen, doch das erste strahlende Glück des Sich-Wiederfindens trübte sich in dieser Zeit immer mehr. Waren sie früher faul und glücklich miteinander im Bett liegen geblieben, nachdem sie sich geliebt hatten, so stand er jetzt beinahe unmittelbar danach auf und zog sich an, sprach kaum etwas, während er Kaffee machte oder sich zur Rückkehr ins Labor fertig machte. Sie stritten sich wegen Kleinigkeiten – welchen Film sie sich ansehen sollten, ob irgendeine Meldung aus der Zeitung so oder so zu beurteilen sei. Sie kriegten sich wegen Suez in die Haare: In Ägypten kaufte Nasser Kampfflugzeuge und erinnerte die Briten daran, dass sie ihre Soldaten im kommenden Jahr aus dem Suez-Gebiet abziehen müssten.
    Als Ellen meinte, England brauche aber den Zugang zum Kanal, entgegnete Alec: »Ihr Kolonialisten seid doch alle gleich, immer müsst ihr die anderen Länder unter der Fuchtel haben.«
    Â» Kolonialisten ?«, fragte sie.
    Er zuckte mit den Schultern. »Dann eben Militaristen. Immer gleich die Truppen reinschicken.«
    Eines Abends waren sie zu einem Fest bei einem Bekannten eingeladen.
    Â»Ich sehe eigentlich nicht ein, warum wir uns deswegen durch halb London schleppen sollen«, sagte Alec.
    Â»Es wäre eine nette Abwechslung.«
    Â»Wenn warmes Bier und Fachsimpelei für dich eine Abwechslung sind …«
    Und so ging es weiter, mürrisch und schlecht gelaunt, bis er zornig sein Jackett überzog und sagte: »Schon gut, schon gut. Ich weiß, ich sollte dir lieber nicht widersprechen.«
    Einen Moment war sie sprachlos, dann fragte sie: »Was soll das heißen?«
    Seine Antwort war kalt und klar. »Na, du gibst doch jetzt den Ton an, Ellen, oder nicht?«
    Sie schwieg, während sie versuchte, mit dem Schock fertigzuwerden. »Ich glaube nicht, dass das mit uns noch Sinn hat«, sagte sie schließlich. »Du?«
    Er antwortete nicht. Ellen hastete durchs Zimmer und raffte Tasche, Mantel, Handschuhe zusammen. Offenbar schien ihr Gehirn die Fähigkeit verloren zu haben, ihrem Körper zu sagen, was er tun sollte, denn sie schaffte es nicht, die Knöpfe an ihrem Mantel in die Knopflöcher zu schieben oder den Verschluss ihrer Tasche zuzudrücken. Als sie aus dem Haus trat, blieb sie einen Moment auf dem Bürgersteig stehen, da sie sich nicht erinnern konnte, wohin sie eigentlich wollte.
    Die Abende waren schlimm, die Nächte schlimmer. Ihr graute davor, ins Bett zu gehen, vor dem Sturz in den Abgrund, der zu beginnen schien, sobald sie das Licht ausmachte. Sie gewöhnte sich an, die leeren Stunden mit einem Drink oder auch zwei zu verwischen. Manchmal ging sie mit Joe ins Pub, und manchmal, wenn Bier in der Küche stand, nahm sie zwei Flaschen mit in ihr Zimmer, nie ohne gewissenhaft das Geld dafür in die Haushaltskasse zu legen. Man schlief leichter ein nach einem Schluck Alkohol. Und nach einer Zigarette. Manchmal ging sie nachts, mutig vom Alkohol, nach unten und rief bei Alec an. Wenn er nicht abhob, überlegte sie, wo er sein könnte, mit wem er zusammen war. Wenn er sich meldete, legte sie auf.
    Kurz vor Weihnachten fand sie sich eines Abends bei Riley wieder. Sie setzten sich zusammen aufs Sofa, hörten John Coltrane und tranken Whisky. Er lief ab und zu nach oben, um nach Annie zu sehen, die Mumps hatte, und wenn er wieder neben ihr saß, redete Ellen von Alec. Sie erzählte Riley die ganze Geschichte, praktisch in einem Atemzug, von dem Augenblick an, als sie ihn im Treppenhaus von Gildersleve Hall das erste Mal gesehen hatte, bis zu jenem letzten, niederschmetternden Na, du gibst doch jetzt den Ton an, Ellen, oder nicht? Sie wusste, wie sehr ihm das Ganze auf die Nerven gehen musste, vor allem, als sie dann auch noch zu weinen anfing, und sie wusste auch, wie peinlich es ihr am nächsten Tag sein würde. Aber sie konnte nicht aufhören. Riley tätschelte ihren Rücken, gab ihr sein Taschentuch, redete beruhigend auf sie ein. Als er das nächste Mal zu Annie hinaufging, torkelte sie ins Badezimmer. Ihr Gesicht war rot und verschwollen, als

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