Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
hätte auch sie Mumps. Sie bespritzte es mit kaltem Wasser und machte sich dabei den ganzen Pullover nass, weil sie mittlerweile betrunken war. Im Wohnzimmer kuschelte sie sich in die Sofaecke und schob sich eins von Pearl Rileys mohnroten Kissen unter den Kopf.
    Riley weckte sie mit einer Tasse schwarzem Kaffee in der Hand. »Ich habe dir ein Taxi gerufen«, sagte er. »Geht’s ein bisschen besser?« Er half ihr in den Mantel, reichte ihr ihren Schal und begleitete sie zum Taxi hinaus.
    Der Kater, mit dem sie am nächsten Tag erwachte, war nichts im Vergleich zu der quälenden Scham, die sie empfand. Wenn sie daran dachte, wie Riley mühsam ihre Arme in den Mantel geschoben hatte, hätte sie sich am liebsten in einer dunklen Ecke verkrochen. Wie ungeheuer peinlich, wie unerfreulich und lästig für ihn. Oben ein Kind mit Mumps und unten eine Frau mit dem heulenden Elend. Es trieb ihr noch jetzt die Schamröte ins Gesicht, wenn sie daran dachte, dass sie ihn gefragt hatte, ob sie nicht auf seinem Sofa übernachten könne. Vielleicht hatte er abgelehnt, weil er gefürchtet hatte, sie würde die ganze Nacht weiterjammern. Vielleicht hatte er sogar Angst gehabt, sie würde in ihrem Vollrausch versuchen, sich an ihn heranzumachen. O Gott , dachte sie, nie wieder .
    Bei Fortnum’s kaufte sie eine Flasche Malt Whisky (für Riley) und eine Schachtel Geleebonbons (für Annie), die sie, begleitet von einigen Zeilen der Entschuldigung und des Danks, an seine Adresse in Tufnell Park liefern ließ. Dann fuhr sie zum Weihnachtsfest nach Hause.
    Hier trat die Wende ein. Ihre Mutter tröstete sie mit ruhiger Zuwendung, verwöhnte sie mit kleinen Leckerbissen und war immer für sie da, wenn sie jemanden brauchte, bei dem sie sich ausweinen konnte. Ihr Vater schaffte es die meiste Zeit, seinen Zorn auf Alec zu bezähmen, und lenkte sie mit Gesprächen über wissenschaftliche Fragen und Politik ab. Die vertrauten Rituale – Weihnachtslieder, großes Familienessen, Treffen mit Freunden und lange Winterspaziergänge – gaben ihr das Gefühl von Geborgenheit und verliehen den Tagen Struktur. Immer noch weinte sie, wenn sie nachts erwachte und daran dachte, was hätte sein können, aber sie konnte sich endlich auch eingestehen, dass Leidenschaft allein ihr nicht genug gewesen war und dass es ihr und Alec an der alltäglichen wohlwollenden Zuneigung und Toleranz gefehlt hatte, die die Grundlage einer glücklichen Ehe bildeten.
    Als Ellen im neuen Jahr nach London zurückreiste, tat sie es mit einer Reihe guter Vorsätze. Kein Alkohol mehr. Keine Zigaretten mehr – sie hatte sie ohnehin nie wirklich gemocht. Und nie wieder so kindische Ideen wie, sich mitten in der Nacht auf die Treppe zu hocken und bei ihrem Exverlobten anzurufen.
    Außerdem hatte sie beschlossen, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Ihr Vater hatte angeboten, ihr finanziell unter die Arme zu greifen. Sie war sechsundzwanzig, weiß Gott zu alt, um immer noch in einer Studentenbude zu hausen, und Joe würde ohnehin im nächsten Jahr ausziehen, sobald er mit seinem Studium fertig war. Obwohl dieser Schritt ihr manchmal wie ein Eingeständnis vorkam, dass sie eine Chance in ihrem Leben verpasst hatte und vielleicht niemals heiraten und eine Familie haben würde, sosehr sie sich das auch immer noch wünschte, begann sie, in ihrer Mittagspause die Immobilienmakler abzuklappern.
    Zuletzt beschloss sie, noch einmal zu versuchen, India ausfindig zu machen. Sie erfuhr, dass die Wohnung der Mayhews verkauft worden war. Keiner der Nachbarn konnte ihr etwas über den Verbleib von India und Sebastian sagen. Als sie India zuletzt gesehen hatte, hatte sie in einem Café bedient, aber Ellen wusste nicht, in welchem. Sebastian hatte als Gärtner gearbeitet; auch hier hatte sie keine Ahnung, wo oder bei wem. Sie erinnerte sich an Indias Freund, den dunkeläugigen Garrett, wie sie mit ihm bei den Mayhews in der Küche getanzt hatte, und es gab ihr einen Stich ins Herz, als ihr einfiel, mit welcher Sehnsucht sie beim Anblick von India und Garrett an Alec hatte denken müssen.
    Aber sie hatte keine Ahnung, wo Garrett wohnte, kannte nicht einmal seinen Nachnamen. India hatte noch andere Freunde gehabt, aber sie wusste, dass es unmöglich sein würde, einen von ihnen in der Millionenstadt London ausfindig zu machen, auch wenn sie sich an diesen oder jenen Namen

Weitere Kostenlose Bücher