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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Bildhübsch. Blondes Haar, wie Sie. Wie gesponnenes Gold, habe ich immer gesagt. Wir haben uns 1932 an der Bourchier-Universität in Maine kennengelernt. Wir waren beide achtzehn und hatten gerade mit dem Studium angefangen.«
    Â»Und Sie waren befreundet?«
    Â»Wir waren beste Freundinnen, ja. Aber dann hat sie Marcus Pharoah geheiratet und das Studium aufgegeben. Anfangs hatten wir noch Kontakt.«
    Â»Anfangs?«
    Â»Ja, ich musste mein Studium fürs Erste an den Nagel hängen, weil mein Vater schwer erkrankte. Als ich sie nach dem Tod meines Vaters besuchen wollte, habe ich erfahren, dass sie umgezogen waren, irgendwo aufs Land. Ich bat Marcus damals um die Adresse, aber er wollte sie mir nicht geben. Wir haben uns nicht gut verstanden.«
    Â»Sie haben ihn nicht gemocht?«
    Â»Nein. Tut mir leid. Er war sehr eifersüchtig. Ich habe von Anfang an gemerkt, noch bevor er und Rosanne verheiratet waren, dass es ihm nicht passte, wenn sie mit mir zusammen war. Später habe ich oft gedacht, ich hätte damals irgendwie ihren Aufenthaltsort herausfinden und sie trotzdem besuchen sollen, aber ich wollte mich nicht zwischen Mann und Frau drängen.« Hester Devereux knetete ihre Hände. »Es tut mir leid, Mrs. Pharoah, Sie empfinden es wahrscheinlich als Zumutung, dass ich einfach hier aufkreuze und Ihnen solche Geschichten erzähle, ich möchte Sie wirklich nicht beunruhigen. Aber ich habe eine Freundin in Midhurst, Elizabeth Ingalls, ihr Mann unterrichtet am College, und sie erwähnte in einem Brief, dass sie Sie kennengelernt habe. Pharoah ist ein sehr ungewöhnlicher Name, deshalb habe ich Elizabeth gefragt, ob es derselbe Pharoah sei, ob er wieder in Amerika lebe. Als sie mir dann geschrieben hat, dass er wieder verheiratet ist …«
    Stirnrunzelnd blickte sich Hester Devereux im Zimmer um. »Ich habe so wunderbare Erinnerungen an diese Zeiten«, fuhr sie fort. »Rosanne und ich haben vom ersten Tag unseres Studiums an zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Ich war zum ersten Mal von zu Hause weg. Seitdem war ich nie wieder so sorglos und unbekümmert. Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben, wir haben drei Kinder. Die beiden ältesten sind verheiratet, aber die jüngste lebt noch zu Hause. Es war eine schwere Zeit. Ich bin inzwischen eine andere geworden.«
    India fragte freundlich: »Möchten Sie nicht doch eine Tasse Kaffee?«
    Â»Ich möchte Ihnen keine Umstände machen.«
    Â»Unsinn, als Sie kamen, wollte ich sowieso gerade ein Stück Kuchen essen, weil ich so hungrig bin. Ich bringe Ihnen auch eins mit, ja?«
    Â»Ja dann – danke, Mrs. Pharoah.«
    Hester Devereux erbot sich zu helfen, doch India lehnte dankend ab. Während sie in der Küche den Kaffee machte und den Kuchen aufschnitt, dachte sie über das nach, was Hester Devereux ihr erzählt hatte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Marcus die enge Beziehung zwischen den zwei Frauen ein Dorn im Auge gewesen war und er versucht hatte, sie auseinanderzubringen. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass auch sie zugelassen hatte, dass er sie von ihrem Bruder und ihren Freunden trennte, doch sie hatte ihn ja geradezu darum gebeten.
    Sie trug das Tablett ins vordere Wohnzimmer und schenkte den Kaffee ein. »Rosannes Tod muss ein großer Schlag für Sie gewesen sein«, sagte sie zu der älteren Frau.
    Â»Ich habe es gar nicht gleich erfahren, was mir heute noch zu schaffen macht. Nach dem Tod meines Vaters war kein Geld für das Studium da, und ich musste aufhören. Von Rosannes Tod habe ich erst ein knappes halbes Jahr später gehört. Ich erinnere mich an jede Einzelheit dieses Tages, obwohl es so lange her ist. Es war im Sommer, ich habe damals in New York in einem Kaufhaus gearbeitet. Einige Zeit zuvor hatte ich Henry kennengelernt, meinen Mann, und habe mein erstes Kind erwartet, was ich der Firma allerdings verheimlichte, weil ich Angst hatte, sie würden mich deswegen feuern. In den Dreißigern war Arbeit knapp. Ich erinnere mich, dass ich todmüde nach Hause kam, als der Brief dalag. Er war von einer ehemaligen Kommilitonin. Als ich ihn gelesen hatte, habe ich nur noch geweint.« Sie stach mit der Gabel in den Kuchen. »Man kann sich so sehr in sein eigenes Leben verstricken, dass man die alten Freunde ganz vernachlässigt. Das hat mich hinterher immer belastet. Es war eine so traurige Geschichte. Rosanne hatte sich das

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