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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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saß, einen Scotch schlürfte, nach Annie horchte, während das Au-pair-Mädchen in der Küche schlecht gelaunt mit Töpfen und Pfannen schepperte. Er trug – hm, was? Ein weißes Hemd mit offenem Kragen und lose sitzender dunkelblauer Krawatte. Wahrscheinlich sah er ziemlich zerzaust aus, weil er sich gern mit der Hand durch die Haare fuhr, und seine hellen grünbraunen Augen blitzten ironisch.
    Â»Wie war dein Tag, Ellen?«, fragte er.
    Sie erzählte ihm von Indias Brief und konnte beinahe sehen, wie er die Stirn runzelte.
    Â»Sie schreibt dir einfach so, aus heiterem Himmel?«
    Â»Ja, fast zwei Jahre lang Schweigen, und dann das.«
    Â»Wie geht es ihr denn?«
    Â»Das ist es ja gerade, ich bin mir nicht sicher. Sie hat ein Kind bekommen, ein kleines Mädchen. Ich werde nicht recht klug aus dem Brief.« Das Schreiben lag auf dem Couchtisch. Der kurze Text in Indias krakeliger Schrift und mit ein, zwei Rechtschreibfehlern sagte nicht viel über ihr Befinden. Es war ein Brief, dachte Ellen, wie man ihn vielleicht schreibt, wenn man in Eile ist.
    Â»Sie fragt«, erklärte sie, »ob ich etwas über Pharoahs erstes Kind weiß. Nicht Rowena, Alisons Tochter. Offenbar war schon vorher ein Kind da, als Pharoah in den Dreißigerjahren in Amerika lebte.«
    Â»Entschuldige mich einen Moment, Ellen …«
    Türklappern, Rileys Stimme, von fern jetzt, als er Annie zurief, sie solle endlich schlafen. Gedämpfte Geräusche, dann nahm er den Hörer wieder auf.
    Â»Tut mir leid. Sie hatte ein paar Freunde hier und ist völlig überdreht. Wusstest du, dass Pharoah noch ein Kind hat?«
    Â»Nein, ich hatte keine Ahnung. Ich erinnere mich nur, dass Dr. Redmond erzählt hat, Pharoah sei vor seiner Ehe mit Alison schon mal verheiratet gewesen. Aber von einem Kind hat er nichts gesagt.«
    Â»Zwanzig Jahre. Das ist eine lange Zeit.«
    Â»Wenn es ein Kind gegeben hat, scheint es kaum eine Spur hinterlassen zu haben.«
    Â»Es gibt immer eine Spur. Man muss sie nur zu finden wissen.«
    Â»India hat nicht geschrieben, warum die Geschichte sie interessiert. Wieso fragt sie nicht einfach Pharoah selbst oder jemanden aus seiner Familie oder seinem Freundeskreis?«
    Â»Vermutlich will sie das nicht.«
    Â»Genau. Aber warum nicht?« Darauf gab es keine Antwort, die Ellen nicht beunruhigend gefunden hätte. »Und warum fragt sie mich , Riley? Nach so langer Zeit.«
    Â»Weil sie dir vertraut. Und weil du Pharoah gekannt hast.«
    Ellen seufzte. »Ich muss manchmal an die beiden denken«, sagte sie. »India und Sebastian, meine ich. Wie sie mich in ihr Leben einbezogen haben. Ich war ziemlich einsam, als ich damals nach London gekommen bin. Ziemlich unglücklich, genauer gesagt. Du weißt doch, es dauert immer eine ganze Weile, bis andere einen ein bisschen näher an sich heranlassen. Sie bleiben immer erst mal zurückhaltend. India war ganz anders, mit ihr war es, als hätten wir uns erst am Tag vorher getrennt. Sie hat sich nie zurückgehalten.«
    Â»Ja, ich fand sie nett damals.«
    Â»Ich denke oft, ich hätte sie vor Pharoah warnen sollen.«
    Â»Was hättest du denn sagen sollen? Sie hätte doch nicht auf dich gehört, Ellen. Wie oft kommt es vor, dass zwei sich ineinander verlieben und kein Mensch versteht, warum.« Seine Stimme klang müde.
    Â»Alles in Ordnung, Riley?«, fragte sie. »Geht’s dir gut?«
    Â»Ja, und doppelt gut mit dir am Telefon.«
    Sie beließ es dabei, obwohl sie ihm nicht glaubte. »Hast du viel zu tun bei der Arbeit?«
    Â»Zu viel. Ich bin eben erst nach Hause gekommen und muss gleich wieder los.«
    Â»Und was macht dein Gangster?«
    Â»Treibt weiterhin ungehindert sein Unwesen.« Er lachte kurz und trocken.
    Â»Es ist doch merkwürdig«, sagte sie, »dass man wehmütig auf Zeiten im Leben zurückblickt, in denen einem alles furchtbar schwierig vorgekommen ist. Dabei sollte man meinen, man würde diese Zeiten am liebsten vergessen, nicht wahr?«
    Â»Denkst du an Alec?«, fragte er scharf.
    Â»Alec?«, entgegnete sie überrascht. »Nein. Ich habe von der Zeit gesprochen, als ich gerade nach London gezogen war. Von der Studentenbude mit der grässlichen Gemeinschaftsküche und meiner Arbeit im Krankenhaus. Und von den vielen neuen Menschen, die ich damals kennengelernt habe, von den vielen neuen Freunden. Wenn ich jetzt

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