An einem Tag im Winter
ein Fahrrad und Sebastian ein Dreirad, die einer von Cindys Freunden, Neil, ein Marineoffizier, in diesen harten Kriegszeiten weià Gott wo aufgetrieben hatte. India war ihr Fahrrad noch zu groÃ, sie musste immer im Stehen die Pedale treten, und Sebastian kam auf seinem Dreirad nur im Schneckentempo voran, aber es hatte hinten einen kleinen Korb, in dem sich manches verstauen lieÃ. Der Laden war weit weg, in der HauptstraÃe, noch hinter der Kirche und der Schule, die India und Sebastian besuchten. Es war ein Krämerladen, in dem man fast alles bekam: neben Lebensmitteln auch Bleistifte, Taschentücher und Wolle zum Stricken. Man konnte allerdings nie sicher sein, was gerade vorrätig war.
Einmal, bald nach ihrem Einzug in das Haus im Wald, gingen sie alle drei an einem schönen Sommertag zu Fuà zum Einkaufen. Cindy zog ein hübsches Kleid an und erlaubte India, ihr Sonntagskleid zu tragen (lila Tüll) und einen Strohhut. Sebastian wurde in eine hellblaue kurze Hose und ein blaues Hemd gesteckt. Es ging fast den ganzen Weg bergan, und sie mussten wegen Cindys schmerzenden FüÃen mehrmals Pause machen. Als sie endlich im Laden ankamen, eröffnete ihnen Mrs. Day, dass das Schreibpapier ausgegangen war. »Tja, das ist der Krieg«, sagte sie zu Cindy. »Ich habe höchstens ein paar Postkarten da.«
Mrs. Day, die unheimlich dick war, stets eine geblümte Kittelschürze über einem mausgrauen Kleid trug und ihre Strümpfe (ebenfalls mausgrau) bis zu den Fesseln hinunterrollte, bewunderte Indias Kleid und sagte, was für ein hübsches kleines Mädchen sie doch sei, dann schenkte sie ihr und Sebastian einen Apfel.
Cindy kaufte die Postkarten, und anschlieÃend marschierten sie, immer bergab jetzt, wieder nach Hause. Cindy legte sich sofort aufs Sofa, als sie zurück waren, India machte das Abendessen für sich und Sebastian und brachte dann ihren kleinen Bruder zu Bett.
Im Winter lieÃen sich die Freunde ihrer Mutter seltener sehen. India versuchte Cindy, die oft traurig schien, aufzuheitern, indem sie ihr unzählige Tassen Tee kochte und das Grammofon anstellte. Bei »My Funny Valentine« sangen sie immer alle mit, und Cindy brachte India den Quickstep bei, jeweils nur ein paar Schritte auf einmal wegen ihrer Gliederschmerzen. Das Haus war kalt, und abends kroch Sebastian oft zu India ins Bett, weil er fror. India erzählte ihm Geschichten von einem Märchenland mit Bergen und Seen und prächtigen Königsschlössern. Wenn sie Sebastian beschrieb, wie sie in einem Segelboot übers Meer fuhren, hörte sie die sanften StöÃe des Windes in den Segeln und zog ihre Hand durch das kühle, kristallklare Wasser.
Zu Weihnachten kam Neil, der Marineoffizier, sie besuchen. India horchte an der geschlossenen Schlafzimmertür, während ihre Mutter und Neil miteinander stritten. »So geht das nicht, Lucinda«, hörte sie ihn laut sagen. »Du musst an die Kinder denken.« Am nächsten Tag war Neil fort, und ihre Mutter stand den ganzen Tag nicht auf.
Im Januar schneite es so stark, dass alles in Schnee versank. India und Sebastian zogen Stiefel und dicke Mäntel an und rannten hinaus. Indias Stiefel waren zu klein und zwickten. Die Schneewehen reichten Sebastian bis über den Kopf, aus den Ãsten der Bäume lösten sich kleine Lawinen und plumpsten schwer auf den Boden. India konnte ihr Fahrrad nicht nehmen und musste zum Laden laufen. »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte Mrs. Day, und India antwortete höflich: »Sehr gut, danke.«
Aber das stimmte nicht. Cindy verbrachte ganze Tage im Bett. Manchmal hörte India sie weinen. Als India fragte, was ihr fehle, sagte sie nur: »Euer Daddy.« Sie war dankbar, wenn India ihr abends die eiskalten FüÃe warm rieb. India machte im Kessel auf dem Herd Wasser heià und brachte ihr Wärmflaschen. Eines Tages, nachdem der ganze Schnee weggetaut war, schrieb Cindy eine Nummer auf einen Zettel und trug India auf, zur Telefonzelle zu gehen und den Arzt anzurufen. Das Telefonhäuschen stand in der HauptstraÃe, nicht weit vom Laden, deshalb nahm India das Fahrrad. Der Arzt kam einige Stunden später und lieà Tabletten da. Mit den Tabletten konnte ihre Mutter schlafen, und danach ging es ihr besser.
India versäumte immer häufiger den Schulunterricht, schlieÃlich musste sie sich um den Haushalt und Sebastian kümmern und ihre Mutter
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