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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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für Sebastian. Später, wenn gar kein Geld mehr da war, Nahrungsmittel. Sie war immer sehr vorsichtig, nahm nie etwas Großes oder Auffallendes mit und wartete immer, bis Mrs. Day ihr den Rücken kehrte, um einen anderen Kunden zu bedienen oder ein Stück Käse abzuschneiden.
    Es wurde Frühling. Ihre Mutter schien sich zu erholen. Sie ging im Garten spazieren, langsam und bedächtig wegen ihrer Gelenke. Durch die dünne Haut an ihren abgemagerten Handgelenken konnte man die blauen Adern sehen. Nach dem Abendessen legte India »My Funny Valentine« auf, und ihre Mutter sagte lächelnd, sie sei ein gutes Kind, und ließ sie von ihrem Sherry probieren. Draußen bekamen die Bäume die ersten Blätter, die Amseln sangen, und die grünen Triebe der Glockenblumen stießen durch die dunkle Erde im Wald.

4
    RILEY FAND PE ARL HINTEN IM GARTEN , stark geschminkt, mit knallroten Lippen und schwarzen Lidstrichen über den Augen. Sie trug eine kurze Hose und ein geblümtes Oberteil mit Trägern, die im Nacken gebunden waren. Als wäre sie am Strand, dachte Riley. Das Grammofon lief, in einem Eimer voll Wasser schwamm eine Flasche.
    Ein Mann saß in einem Liegestuhl. Riley kannte ihn nicht, ein junger Bursche mit blühender Akne im Gesicht. Der braune Verkäuferkittel über Hemd und Hose stand offen, und er hielt ein Glas in der Hand.
    Â»Wo warst du so lange?«, fragte Pearl.
    Â»Ich hab gearbeitet. Was ist hier los, Pearl?«
    Â»Gerry und ich haben ein bisschen getanzt. Es war richtig lustig, nicht?« Ihre Aussprache war undeutlich.
    Riley hob die Nadel von der Schallplatte und wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf den Mann im Liegestuhl. »Wer ist das?«
    Â»Das ist Gerry. Er arbeitet im Lebensmittelgeschäft und hat mir geholfen, die Taschen nach Hause zu bringen.«
    Â»An Ihrer Stelle würde ich jetzt gehen«, sagte Riley zu dem Jungen.
    Gerry stellte sein Glas ab und machte sich davon.
    Â»Spielverderber«, sagte Pearl, die blassgrünen Augen zu Schlitzen zusammengezogen.
    Â»Wo ist Annie?«, fragte er.
    Â»Annie?« Sie schaute sich zerstreut um.
    Er erschrak. Hatte sie vergessen, Annie von der Schule abzuholen? Oder das Kind vielleicht im Bus zurückgelassen? Oder im Lebensmittelgeschäft, wo sie diesen Gerry entdeckt hatte?
    Â»Ach, jetzt weiß ich’s wieder«, sagte Pearl. »Sie ist zum Abendbrot drüben bei Linda.«
    Tief erleichtert sah Riley auf seine Uhr. »Ich geh rüber und hole sie.«
    Auf dem Weg ins Haus hörte er sie bissig sagen: »Du hast’s gut. Wenn du was mit einer anderen hättest, könntest du das prima vertuschen. Du würdest mir einfach erzählen, du hättest länger arbeiten müssen, und ich hätte keinen blassen Schimmer.«
    Langsam drehte er sich nach ihr um. »Ich habe mit niemandem etwas.«
    Â»Ach, und das soll ich dir glauben?«
    Â»Das ist deine Sache, Pearl.« Er sah sie an. »Aber wenn du willst, erzähle ich dir gern, was ich den ganzen Tag getan habe. Heute Vormittag habe ich Zeugenprotokolle in Zusammenhang mit einer versuchten Brandstiftung überprüft. Am Nachmittag habe ich einen Verdächtigen in einer Mordsache befragt. Er behauptet, er hätte mit seinem Bruder getrunken, aber ich bin ziemlich sicher, dass er zur fraglichen Zeit seine ehemalige Freundin erdrosselt hat. Meiner Ansicht nach lügen die beiden Brüder. Ich bin sogar überzeugt davon, und ich werde so lange nicht lockerlassen, bis ich es beweisen kann. Die beiden sind unberechenbar und impulsiv und verlieren beim geringsten Anlass die Beherrschung. Sie sind in sämtlichen Pubs in Deptford dafür bekannt. Solchen Leuten kann man doch nicht trauen, oder?«
    Er erkannte die Furcht in ihren Augen, bevor sie die Lider senkte. »Hör auf«, bat sie. »Hör auf, John.«
    Er sagte kurz: »Ich hole jetzt Annie.«
    Als er durchs Haus zur Tür ging, öffnete er seine zu Fäusten geballten Hände und lockerte die Finger. In diesem Moment empfand er keinen Funken Liebe für sie, keine Achtung, nicht einmal Mitleid, und wäre nicht Annie gewesen, er wäre für immer gegangen.
    Die Luft staute sich windstill unter einem bleiernen Himmel, und eine Kältewelle zwang sie, ihre warmen Jacken wieder aus dem Schrank zu holen. Wie im März. Dabei hatten sie Juni. An den Bushaltestellen standen hustende alte Männer, Kohlestaub lag auf dem

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