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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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seinem Chauffeur einen Klaps auf den Hinterkopf. Lee kaufe leidenschaftlich gern ein. »Ja, Chef«, bestätigte dieser nickend. Sein rotblondes Haar war kurz gestutzt, und India konnte erkennen, wie die Röte seinen Nacken hinaufkroch.
    Am Ende gab sie nach, weil es ihr leichter erschien, und stieg in den Wagen, in dem Lee sie in die Old Compton Street fuhr. Sie überlegte, was sie Lee besorgen lassen sollte – Seife und Zucker, so simpel wie möglich, sonst brauchte er womöglich Stunden. An einem Tisch am Fenster aßen India und Bernie Fisch mit Kartoffeln und Salat. Bernie redete, vor allem über sich selbst. Bernie ins Monologisieren über die eigene Person zu bringen war leicht, und India glaubte schon, sie hätte das Mittagessen überstanden, aber gerade als sie ihn daran erinnern wollte, dass sie jetzt in den Laden zurückmüsse, sagte er: »Du hältst dich wohl für eine richtige kleine Schlaumeierin, hm, India?«
    Sie zwang sich, ihn anzusehen. »Wieso?«
    Â»Ich lade dich zum Essen ein, führe dich in schicke Klubs aus –« Bernie tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und inspizierte seine Fingernägel. Er war, was Reinlichkeit anging, sehr penibel. »Und was bekomme ich dafür?«
    Â»Ich habe dich um nichts gebeten. Du wolltest mich zum Mittagessen einladen«, versetzte sie.
    Â»Ach, ja, stimmt.« Bernie polierte einen Fingernagel mit der Serviette.
    Â»Ich muss jetzt wieder in den Laden, sonst komme ich zu spät.«
    Â»Du magst deine Arbeit, wie?«
    Â»Ja, sehr.«
    Â»Ich könnte dir eine Stelle in einem von meinen Kasinos besorgen. Du bräuchtest nichts weiter zu tun, als dich hübsch anzuziehen und zu lächeln. Du müsstest nicht früh aufstehen und gar nichts.«
    Â»Mir gefällt es da, wo ich bin.«
    Â»Du bekommst doch bestimmt einen Hungerlohn.« Er nahm einen Schein aus seiner Brieftasche und legte ihn auf den Tisch. »Wie kommt ihr beide überhaupt über die Runden, du und dein Bruder?«
    India erschrak. Sie hatte Bernie nie von Sebastian erzählt. Woher wusste er von ihm? »Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, Bernie«, versetzte sie in leichtem Ton. »Mir fehlt es nicht an Geld. Ich bin eine reiche Erbin. Meine Tante hat mir einiges hinterlassen. Es liegt alles auf der Bank.«
    Â»Das nehme ich dir nicht ab«, sagte Bernie. Seine Augen, die graubraun waren wie der Schlamm auf dem Grund eines Teichs, fixierten sie scharf. »Absolut nicht.«
    Lee fuhr sie zum Laden zurück und übergab ihr die Tüte mit den Einkäufen. Neben Zucker und Seife lagen eine Schachtel Black-Magic-Pralinen und ein halbes Dutzend Paar Nylonstrümpfe darin, deren Anblick India wütend machte. Sie kam zehn Minuten zu spät zur Arbeit, und Mrs. Maloney empfing sie mit scharfem Tadel. Den ganzen Nachmittag ging ihr nichts leicht von der Hand – sie gab den Kunden falsch heraus, ließ den Kasten mit den Pinseln fallen und musste alle wieder einsammeln und sortieren. Sie war durcheinander und unfähig, sich zu konzentrieren. Bernie hatte sie verstört. Auf dem Heimweg von der Arbeit schenkte sie die Tragetüte mit allem, was Lee eingekauft hatte, einer alten Frau, die an der Ecke zu ihrer Straße saß und bettelte. Um die Nylons tat es ihr ein bisschen leid, aber sie hatte ihre Prinzipien.
    Als sie in die Wohnung kam, fiel ihr gleich ein Strauß blauer Glockenblumen auf, der in einer Vase auf dem Tisch stand. Sebastian musste sie in einem seiner Gärten gepflückt haben. Die Stängel sahen ein bisschen matschig aus, die Blütenköpfe hingen müde herab. India hätte sie am liebsten gleich weggeworfen. Sie mochte Glockenblumen nicht. Wie hatte Bernie von Sebastian erfahren? Hatte Garrett etwas gesagt? Er hatte leicht einmal ein großes Mundwerk. Hatte Bernie ihren Bruder mit einer bestimmten Absicht erwähnt oder rein beiläufig? India beschlich das unangenehme Gefühl, dass hinter jeder von Bernies Bemerkungen eine Absicht steckte.
    Sie ließ sich ein Bad einlaufen und entspannte sich im warmen seifigen Wasser, das den Schmutz des Tages fortspülte. Sie überlegte, ob sie mit Bernie ins Bett gehen sollte, um es ein für alle Mal hinter sich zu bringen. Dann würde er sie vielleicht endlich in Ruhe lassen. Aber bei der Vorstellung, wie er sie mit seinen Fischaugen verschlingen, mit seinen kleinen feisten Händen

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