An einem Tag im Winter
betatschen würde, grauste ihr. Und was, wenn er sie danach nicht in Ruhe lieÃ, was, wenn er sie seiner Sammlung dümmlicher, halbseidener Dämchen einverleiben wollte, mit denen er sich in den Klubs und auf den Festen umgab?
Das Dumme war, dass sie es schon zu weit hatte kommen lassen. Ich lade dich zum Essen ein, führe dich in schicke Klubs aus . Das stimmte leider. Sie war zwar bis heute nie allein mit Bernie ausgegangen, Garrett und Clive waren immer mit von der Partie gewesen, aber sie hatte gewusst, dass Bernie hinter ihr her war. Sie war nicht so naiv wie Garrett, dem solche Dinge gar nicht auffielen. Garrett glaubte, Bernie würde ihn »ins Geschäft bringen«, wie er es ausdrückte, weil Garrett in einer Welt lebte, wo sich immer alles zum Besten fügte. India hatte mitgemacht, einerseits Garrett zuliebe, andererseits weil sie den Glanz genoss. In den Klubs in Mayfair und bei den Abendessen in teuren Restaurants am Piccadilly und in St. James, in Gesellschaft mit den Reichen und den Berühmten â wenn auch etwas zwielichtiger Sorte â hatte sie sich wohlgefühlt. Sicher . Das war alles, was sie wollte, Sicherheit, für sich und Sebastian; denn wenn Sebastian nicht sicher war, konnte auch sie sich nicht sicher fühlen. Bernies Bemerkung hatte sie erschreckt.
India stieg aus der Wanne und schlang ein Badetuch um sich. Sie hatte keine Lust, sich die Haare aufzudrehen, der Wasserdampf hatte sie sowieso schon gelockt. Sie machte sich eine Tasse Tee, dazu Toast und setzte sich aufs Sofa.
Wieder fiel ihr Blick auf die blauen Glockenblumen. Rund um das Haus im Wald hatte es auch Glockenblumen gegeben, als sie dort eingezogen waren. Das war im Jahr nach dem Tod ihres Vaters gewesen. Er war 1940 bei einem Bombenangriff in London ums Leben gekommen, India war damals acht gewesen, Sebastian vier. Während er auf Heimaturlaub war, hatte eine Bombe den Bus getroffen, in dem er saÃ. Rachel hatte ihr das später erzählt, als sie versuchte, sich ein klareres Bild davon zu verschaffen, wie das damals alles gewesen war.
Das Haus im Wald war das erste Haus, an das India sich genau erinnern konnte. Sie wusste, dass sie vorher schon in verschiedenen anderen Häusern gelebt hatte, aber von denen waren ihr nur Bruchstücke im Gedächtnis geblieben â ein dunkler Hof, ein Badezimmer mit einer blassgrünen Tapete mit Fischen. Das Haus war auf drei Seiten von Wald umgeben, riesigen Flächen, regelrechten Wäldern. Kilometerweit keine Nachbarn. Eine schmale LandstraÃe führte vorn am Haus vorbei. Immer wenn ein Fahrzeug vorüberkam, rannten sie und Sebastian zum Gartentor, um zu schauen.
Das Wasser mussten sie aus einem Brunnen im Garten holen, worüber sie entsetzt waren â Wasser kam doch aus der Leitung. »Wie im Märchen«, sagte ihre Mutter am Tag ihres Einzugs zu ihnen, bemüht, das Beste aus der Situation zu machen. India erinnerte sich lebhaft, wie ihre Mutter in einem Sommerkleid mit Blumenmuster im Garten stand und mit einer Zigarette im Mund den Pumpenschwengel auf und nieder bewegte. Ihre Mutter hieà Lucinda, Cindy, und bevor sie geheiratet hatte, war sie Tänzerin gewesen. Sie hatte langes, flachsblondes Haar, das sie rund um den Kopf zu einer Art Wurst aufgerollt trug. Sie war sehr dünn und litt immer an Gelenkschmerzen vom vielen Tanzen. »Ach, meine armen Knochen«, stöhnte sie oft.
India hatte das Wasserholen übernommen. Sie fand das Quietschen und Ãchzen der Pumpe und das Klatschen des Wassers, wenn es sich in StöÃen in den Metalleimer ergoss, sehr befriedigend. Wenn die Freunde ihrer Mutter auf Besuch kamen, übernahmen sie das Pumpen. Männer in der Khakiuniform der Bodentruppen und im Blau der Marine oder der Luftstreitkräfte schwangen den Pumpenschwengel lässig mit einer Hand. Dieser erste Sommer war schön gewesen. Sie veranstalteten Picknicks im Garten und feierten Feste im Haus, wenn Cindys Freunde sie besuchten. Ein anderes Erinnerungsbild: ihre Mutter, mit einer grünen Satinblume im Haar, wie sie, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein Glas Sherry, lachte und tanzte. Dann reisten die Männer ab, und India musste wieder das Wasser holen.
Auch das Einkaufen war ihre Aufgabe. Ihre Mutter schrieb ihr mit gerunzelter Stirn eine Liste, dann holte India Cindys Portemonnaie und die Einkaufstasche und zog los. Manchmal nahm sie Sebastian mit. India besaÃ
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