An einem Tag im Winter
habe?«
»Bitte, Bernie«, sagte sie leise.
Er musterte sie einen Moment, ehe er aufstand. Sie fragte sich, ob er es vorzog, im Sitzen mit den Leuten zu sprechen, wie ein König auf seinem Thron, weil er so klein war.
In der Nähe der Bar fanden sie eine Ecke, wo es etwas ruhiger war. »Ich nehme an, du bist wegen deinem Freund Garrett hier, diesem Banditen.«
»Er zahlt dir das Geld zurück.«
»Vielleicht gehtâs darum gar nicht. Vielleicht lass ich mich nicht gern übers Ohr hauen. Vielleicht lass ich mich nicht gern für dumm verkaufen.«
»Garrett wollte dich nicht für dumm verkaufen, Bernie.«
»Ach was? Es sieht aber ganz danach aus.« Bernie rümpfte die Nase. »In meinem Geschäft kommt alles auf den Ruf an. Ich kannâs mir nicht leisten, als Schlappschwanz dazustehen. Das ist schlecht fürs Geschäft. Jeder muss an seinen Ruf denken. Du bist doch genauso, India. Deswegen tust du auch so, als würdest du mich nicht mit der Feuerzange anfassen wollen. Du hältst dich für was Besseres als diese dummen Weiber, mit denen ich rumziehe. Du denkst an deinen Ruf. «
Während er sprach, schielte er ihr in den Ausschnitt. Dann beugte er sich vor und drückte seinen Mund in das Grübchen an ihrem Hals. »Ich bekomme am Ende immer, was ich will«, murmelte er.
India krampfte ihre Hände ineinander und versuchte, ein Schaudern zu unterdrücken. »Du bekommst das Geld in zwei Wochen von Garrett wieder«, sagte sie fest. »Bitte, Bernie, mir zuliebe.«
Einen Moment fixierte er sie mit seinen Fischaugen, dann zuckte er mit den Schultern. »Eine Woche. Keinen Tag länger. Sag deinem Freund, er hat was, was ich haben will. Und sag ihm auch gleich, dass ichâs mir nehme, und zwar so â«, er schnalzte mit den Fingern, »wenn er noch mal versucht, mich reinzulegen.«
»Danke, Bernie.«
»Und vergiss nicht, India, du schuldest mir was.«
Es war fast drei Uhr morgens, als sie nach Hause kam. Leise schlich sie in die Wohnung, um Sebastian nicht zu wecken. Garrett lag quer über dem Bett und schnarchte durch seine blutige Nase. India zog sich aus, schob ihn zur Seite und kroch unter die Decke. Sie konnte lange nicht einschlafen, Garretts Schnarchen und das Toben in ihrem Kopf hielten sie wach. Sie versuchte, die Küche in Applegarth herbeizuholen, mit dem groÃen gusseisernen Ofen und den geblümten Gardinen, und sich in ihre Vertrautheit und Wärme zu retten. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie ihr Vater zu ihr sagte: »Was ist denn los, mein kleines Mädchen? Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bin ja da. Es wird alles gut.«
Aber das tröstende Bild blieb fern, sie konnte sich nicht richtig konzentrieren. Statt der Obstbäume in Applegarth sah sie das Haus im Wald, den verwilderten Rasen und die schweren Wipfel der Bäume, wie sie in jenem zweiten Sommer im Wind schwankten.
Juli 1942. Ihre Mutter hatte seit einer Woche das Bett nicht mehr verlassen. Irgendwie wurstelte India sich allein durch, mehr schlecht als recht. Sebastian war seit einer Ewigkeit nicht mehr in der Schule gewesen, und sie auch nicht, aber das war nicht so schlimm, weil anscheinend alle vergessen hatten, dass es sie überhaupt gab.
Ihre Mutter schlief, als sie ihr am Morgen eine Tasse Tee brachte. »Hier ist dein Tee, Mama«, sagte India, aber ihre Mutter antwortete nicht. Sie lag auf der Seite, die Decke fast ganz über den Kopf gezogen, nur ein Büschel helle Haare war zu sehen. India stellte Tasse und Untertasse auf den Nachttisch und ging nach unten, um Sebastian das Frühstück zu machen.
Es war ein schöner Tag, und sie gingen in den Garten hinaus und spielten dort den ganzen Vormittag. Sie hielt sich sowieso nicht mehr so gern im Haus auf, in den letzten Monaten war sie mit der Hausarbeit und dem Aufräumen nicht mehr hinterhergekommen, und jetzt roch es irgendwie komisch. DrauÃen kneteten sie Tontöpfe. India füllte einen Eimer mit Wasser, und Sebastian grub mit der kleinen Metallschaufel, die ihr Vater ihm vor langer Zeit gekauft hatte, als sie einmal am Meer gewesen waren, den Lehm aus.
Zum Mittagessen schmierte India mit dem letzten Rest Marmelade, der noch im Glas war, ein paar Brote. Sie passte auf, dass Sebastian sich vor dem Essen die Hände unter der Pumpe wusch, dann brachte sie ihrer Mutter ein Marmeladenbrot hinauf. Aber ihre Mutter schlief immer
Weitere Kostenlose Bücher