Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Aber das hat genauso wenig funktioniert. Am Ende habe ich mir von Pearl Sachen gefallen lassen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich sie von einem Freund, geschweige denn von meiner eigenen Frau hinnehmen würde.« Er sah sie offen an. »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen das zumute, aber ich muss ehrlich sein. Es stimmt, was ich vorhin gesagt habe, ich fühle mich befreit. Auch wenn ich natürlich Schuldgefühle habe.«
    Â»Sie haben sicher Ihr Bestes getan, Riley.«
    Er runzelte die Stirn, und sie wartete darauf, dass er eine Bemerkung über die Banalität ihrer Worte machen würde. Aber er sagte nur: »Das ist die Frage. Pearl war unglücklich, weil sie krank war, Ellen. Ich habe das damals schon gemerkt, aber ich dachte, es wären vorübergehende Zustände. Erst jetzt, wenn ich zurückschaue, kann ich erkennen, dass sie die ganze Zeit über krank war.«
    Â»Wenn Sie von ›krank‹ sprechen –«
    Â»Sie hat ständig zwischen tiefer Verzweiflung und Euphorie geschwankt. In der Anfangsphase der Euphorie konnte sie heiter und lustig sein, und es war gut mit ihr auszukommen, aber irgendwann ist es unweigerlich gekippt. So, als wäre sie plötzlich in einen Abgrund gestürzt. Sie ist in eine tiefe Depression gerutscht, hat kaum noch geredet und sehr viel geweint. Sie hat sich immer unglaublich bemüht, Annie nichts merken zu lassen. Ich konnte ihr ansehen, wie schwer es ihr manchmal fiel, überhaupt zu sprechen, und ich habe sie für ihr Bemühen bewundert. Was ich sagen will – ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass die Euphorie ein Teil der Krankheit war.« Er rieb sich über die Augen. »Nachdem sie gegangen war, habe ich mit ihrem Psychiater gesprochen. Wenn ich früher erkannt hätte, was los war, hätte man vielleicht noch etwas tun können. Vielleicht aber auch nicht. Ich konnte ihr jedenfalls nicht das geben, was sie brauchte. Und ich glaube, wir haben uns gegenseitig zermürbt.«
    Â»Riley.« Ellen beugte sich über den Tisch und berührte seine Hand. »Wir können doch alle nur versuchen, irgendwie mit den Dingen fertigzuwerden. Ach, verflixt –«, sie seufzte und lächelte entschuldigend, »heute ist anscheinend mein Tag fürs Klischee. Sie Armer.«
    Er schüttelte den Kopf. »Arme Annie. Arme Pearl.«
    Â»Ich glaube, Sie sind noch in der Rekonvaleszenzphase, Riley.«
    Â»Wie ein Alkoholiker, meinen Sie? Ja, vielleicht haben Sie recht.«
    Â»Ich könnte jetzt sagen, solche Dinge brauchen Zeit, aber dann müsste ich mir wahrscheinlich gleich eine Kugel durch den Kopf schießen.«
    Â»Lieber nicht. Ich kann doch von Glück reden, Ellen – ich habe eine gesunde kleine Tochter, ich habe ein gutes Leben, und ich habe meine Arbeit.« Er sagte es nicht ganz ohne einen gewissen schwarzen Humor. »Und gerade meine Arbeit zeigt mir immer wieder, dass es viele gibt, deren Leben weit chaotischer ist als meins.«
    Â»Ja, das ist sicher ein gewisser Trost. Haben Sie versucht, Pearl zu finden?«
    Â»Ja, schon Annies wegen. Aber bisher keine Spur. Menschen verschwinden aus allen möglichen Gründen. Weil sie ihren Problemen entfliehen wollen. Weil sie einen neuen Anfang brauchen. Weil sie eine neue Beziehung eingegangen sind.« Er breitete ratlos die Hände aus. »Alles ist möglich. Wie ich schon sagte: Sie war nicht glücklich.«
    Er schenkte den letzten Rest Wein in ihre beiden Gläser, stellte sie zusammen mit dem Kaffeegeschirr auf ein Tablett und trug sie ins Wohnzimmer.
    Ellen setzte sich in einen Sessel, und Riley suchte Musik aus.
    Â»So, jetzt habe ich genug von mir geredet«, sagte er, während er eine Schallplatte auflegte. »Muss ganz schön ermüdend für Sie gewesen sein. Erzählen Sie zur Abwechslung mal von sich. Wie geht es Ihnen? Und Ihrem Bruder? Und India – was macht Ihre Freundin?«
    Â»Mir geht es gut. Wenn ich auch manchmal an mir selbst verzweifle. Und Joe hat sich in India verknallt, der bedauernswerte Trottel.«
    Â»Ach, Gott. Warum verzweifeln Sie an sich selbst?«
    Â»Weil ich so eintönig vor mich hin lebe. Ich arbeite, ich komme wieder heim, ich treffe mich mit Freunden.«
    Â»Das klingt doch sehr gut.« Er lächelte leicht. »Ich finde es sogar beneidenswert.«
    Nein, dachte sie, sie überließ sich viel zu leicht blinder Gewohnheit und einem Hang,

Weitere Kostenlose Bücher