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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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beobachtete eine Ameise, die den Fensterrahmen hinaufkroch. India wählte die Vermittlung und bat um eine Verbindung mit Neils Nummer. Nach langer Zeit sagte die Frau von der Vermittlung: »Ich verbinde«, und dann meldete sich jemand: »Hier bei Caird.« India fragte nach Neil. Die Stimme am anderen Ende sagte: »Er ist nicht hier, Kind, er ist auf See. Wer bist du denn?«
    India hängte ein. Sie presste die Lippen fest aufeinander, um nicht zu weinen. Natürlich war Neil auf seinem Schiff – wie hatte sie so dumm sein können, nicht daran zu denken? Sie nahm Sebastian bei der Hand und zog ihn aus der Telefonzelle. Vor ihnen lief eine schwarze Katze über den Weg. Sie zeigte sie Sebastian, um ihn aufzuheitern, aber auch, weil sie selbst sich ablenken musste.
    Im Laden schwatzte eine alte Frau mit Mrs. Day. Sie trug eine marineblaue Baskenmütze, wie India sie in ihrer Londoner Schule getragen hatte, und einen grauen Mantel, obwohl es wirklich heiß war. Als Mrs. Day Sebastian bemerkte, rief sie: »Und wie geht’s meinem kleinen Bübchen?« Normalerweise hätte India ihm einen kleinen Schubs gegeben, weil Mrs. Day ihm manchmal einen Keks oder einen Apfel schenkte, aber sie wusste, dass es diesmal keinen Sinn hatte, ihn zu schubsen, Sebastian sprach ja nicht einmal mit ihr.
    Â»Er hat anscheinend seine Zunge verschluckt, Mrs. Matthews«, sagte Mrs. Day zu der alten Frau. Dann wandte sie sich an India: »Was kann ich dir tun?« Das fragte sie immer, es sollte scherzhaft sein, aber es war gar nicht lustig.
    India bat um eine Dose Ölsardinen. Während die dicke Mrs. Day sich keuchend streckte, um die Sardinen vom obersten Regalbrett zu holen, warf India einen schnellen Blick auf die alte Frau, bevor sie aus dem Sack neben sich auf dem Boden einen Apfel nahm und in die Tasche ihres Kleides schob. Mrs. Day stellte die Ölsardinen auf die Theke, und India fragte, was sie kosteten. Einen Schilling und zwei Pence, antwortete Mrs. Day, und India sagte, sie habe nur fünf Pence.
    Â»Anschreiben gibt’s bei mir nicht«, sagte Mrs. Day.
    Â»Was haben Sie denn für fünf Pence?«
    Mrs. Day schaute nach hinten ins Regal. »Ich könnte dir ein Stück Käse geben. Oder ein paar schöne Karotten.«
    Die alte Frau sah einen Karton mit alten Büchern durch, der schon im Laden gestanden hatte, als India das erste Mal hier eingekauft hatte. Während Mrs. Day den Käse aufschnitt, schob India einen Laib Brot von der Theke in ihre Einkaufstasche.
    Sie legte den Käse in die Tasche und nahm Sebastian an der Hand. Als sie zur Ladentür gehen wollte, sagte die alte Frau: »Nichts da, Fräuleinchen.«
    India wollte wegrennen, aber die alte Frau, die erstaunlich flink auf den Beinen war, stellte sich ihr in den Weg. »Schauen Sie in ihre Tasche!«, trompetete sie triumphierend und hielt India am Arm fest. »Nun machen Sie schon, Irene, schauen Sie in ihre Tasche.«
    Mrs. Day hievte ihre Massen hinter der Theke hervor und warf einen Blick in Indias Einkaufstasche. »Ach, du liebe Güte!«
    Â»Ich hätte alles das nächste Mal bezahlt.« India versuchte, die Hand der alten Frau abzuschütteln, aber die hielt sie eisern fest.
    Â»Und einen Apfel hat sie auch noch eingeschoben. Rufen Sie Constable Gilbert an, Irene.«
    Aus dem Hinterzimmer kam ein Mann mit Hosenträgern über einem Unterhemd. »Was ist das für ein Radau hier?«
    Die alte Frau sagte: »Die Kleine hat gestohlen.«
    Â»Was? Gestohlen?«
    Â»Ich regle das schon, Reg«, sagte Mrs. Day.
    Sebastian weinte. Mrs. Day nahm ihn auf den Arm und redete beruhigend auf ihn ein. Zu India sagte sie: »Warum tust du denn so etwas? Ein großes Mädchen wie du sollte wirklich gescheiter sein. Da hast du dir jetzt eine Menge Ärger eingehandelt.«
    Â»Holen Sie den Constable«, drängte die Frau von Neuem.
    Â»Danke, Mrs. Matthews«, sagte Mrs. Day sehr förmlich und scharf.
    Â»Eine kleine Ladendiebin.« Der Mann, der Reg hieß, schnalzte mit der Zunge.
    Der Polizist wohnte nicht weit. Er würde sie ins Gefängnis stecken, und wer sollte sich dann um Sebastian kümmern? Wenn es ihr gelänge, Mrs. Days Mitleid zu erregen, würde diese vielleicht ihren Ärger vergessen, und man würde sie nicht einsperren, überlegte India. Also sagte sie ganz leise zu Mrs. Day: »Meine Mutter ist tot.«
    Â»Tot?«,

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