An einem Tag wie diesem
Hand auf dem Nacken.«
Sie sprach sehr leise. Andreas hatte sich neben sie auf die Schaukel gesetzt. Er legte einen Arm um ihre Schultern. Sie zog die Beine hoch und lehnte sich an ihn. Sie sagte noch einmal, sie sei froh, dass er da sei. Andreas fing an, Marthes Haar zu streicheln. Sie schien nichts dagegen zu haben, und er streichelte ihr Ohr, ihre Wange, ihren Hals. Als er sie auf den Nacken küsste, stand sie auf. Sie schaute ihn belustigt an.
»Du hast ihm schon Delphine weggenommen«, sagte sie.
»Es geht nicht um Jean-Marc«, sagte Andreas. Er mochte den Klang seiner Stimme nicht. Er kam sich vor wie die Karikatur eines Verführers. Er war selbst ein wenig schockiert, dass er eine Freundschaft, die Jahre gedauert hatte, aufgegeben hätte, um mit der Frau dieses Freundes zu schlafen. Aber so war es.
Marthe fuhr ihm mit der Hand durchs Haar wie einem Kind und sagte, sie habe schon Ärger genug. Er stand auf und folgte ihr ins Haus. Jean-Marc saß in der Küche. Er hatte die Arme auf den Tisch gelegt und starrte vor sich hin. Er sah aus, wie Andreas sich einen bretonischen Bauern vorstellte. Marthe und Andreas gingen wortlos an ihm vorbei und hinauf ins obere Stockwerk.
»Gute Nacht«, sagte Marthe und küsste Andreas kurz auf den Mund.
Er fasste sie noch einmal um die Taille, aber sie machte sich los.
»Nicht«, sagte sie. »Vielleicht ein andermal. Wenn alles vorüber ist.«
»Es wird schon gut gehen«, sagte Andreas.
»Das glaube ich nicht«, sagte Marthe.
Als Andreas am nächsten Tag herunterkam, war Jean-Marc noch nicht aufgestanden. Die Kinder seien am Strand, sagte Marthe, ob er Kaffee wolle?
»Der steht noch lange nicht auf«, sagte sie und zeigte mit dem Kopf auf zwei leere Weinflaschen, die neben der Mülltonne standen. Sie schenkte Andreas Kaffee ein und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
»Wegen gestern«, sagte sie. Sie schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Er schwieg.
»Es tut mir leid, was geschehen ist«, sagte sie schließlich und stand auf. »Ich glaube, meine Phantasien genügen mir.«
»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte Andreas. »Es ist ja nichts geschehen.«
»Ich habe dieses Bild von einer Ehe«, sagte Marthe. »Wie eine Ehe sein sollte. Da passt das nicht rein. Es mag blödsinnig klingen, aber es käme mir irgendwie unästhetisch vor. Ich mag die Rolle der untreuen Ehefrau nicht spielen. Ich kann es nicht.«
Marthe stand am Fenster im Gegenlicht. Andreas konnte ihr Gesicht nur undeutlich sehen. Sie sagte, in Gedanken habe sie Jean-Marc oft betrogen. Einmal sei es fast passiert. Das sei gewesen, als das zweite der Kinder in die Schule gekommen sei.
»Das ist Jahre her.«
Sie hob die Hände und ließ sie wieder sinken. Sie habe plötzlich viel Zeit gehabt und nicht gewusst, was sie damit anfangen solle. Sie sei nach Paris gefahren, habe Kleider gekauft und Schuhe und Küchengeräte, die sie nicht brauchte. Sie habe all diese jungen Leute gesehen und plötzlich das Gefühl gehabt, sie habe ihr Leben verpasst.
»Das alte Lied. Jung geheiratet, und dann kamen gleich die Kinder. Jean-Marc war meine erste längere Beziehung.«
Ein paar Mal war Marthe nach Enghien gefahren, nur wenige S-Bahn-Stationen von Deuil entfernt. Sie spazierte um den kleinen See herum, trank etwas im Restaurant des Casinos, beobachtete die Leute und freute sich, wenn die Männer sich nach ihr umdrehten. Da traf sie Philippe, den Französischlehrer, der später an einem Gehirntumor gestorben war. Er gestand ihr, er fahre jede Woche nach Enghien, um im Casino Black Jack zu spielen.
»Das hat mich fasziniert. Alle glaubten, er fahre nach
Paris, um in der Bibliothek an irgendeiner Arbeit zu schreiben, und in Wirklichkeit ging er die ganze Zeit ins Casino. Er sah überhaupt nicht aus wie ein Spieler.«
Philippe hatte Marthe mitgenommen ins Casino und ihr alles erklärt. Das Glücksspiel hatte sie gelangweilt, aber die Atmosphäre faszinierte sie.
Marthe setzte sich wieder zu Andreas an den Tisch und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
»Warst du mal im Casino?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf.
»Die Leute da sind total rücksichtslos. Man hat das Gefühl, sie sehen einander nicht. Wenn sie dich anrempeln, entschuldigen sie sich nicht. Einmal gab es Streit um einen Gewinn. Zwei Leute behaupteten, das Geld gehöre ihnen. Es war kein großer Betrag, aber sie taten, als gehe es um Leben und Tod.«
Philippe spielte um kleine Beträge. Er sagte, er spiele zum Spaß, er
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